berliner szenen: Als hätte dein Auto Krebs
Meine Mutter mag mein Auto nicht. Dabei ist mein Auto eigentlich gar kein Auto, sondern ein Van. Ein G 20 Chevrolet Van, Baujahr 1993, 8 Zylinder, verdunkelte Scheiben. Zwei Meter breit, fünf Meter lang. Ich bin schwer verliebt. Meine Mutter nicht. Zumindest nicht in den Chevy. „Wie oft warst du dieses Jahr schon in der Werkstatt?“, stichelt sie bei jedem Besuch. „Nur sieben Mal.“
„Das ist doch nicht dein Ernst!“ – „Ach, Mama“, sage ich, „du würdest Papa doch auch nicht verlassen, nur weil er mal eine Erkältung hat.“ – „Papa ist doch nicht sieben Mal pro Jahr erkältet! Und außerdem bagatellisierst du die Umstände. Für mich klingt das, als hätte dein Auto Krebs. Oder HIV.“ – „Mit HIV hat man heutzutage eine ausgezeichnete Prognose.“ – „Dann eben Krebs.“ – „Auch da hängt es stark davon ab, welcher Krebs …“ – „Jetzt lenk nicht ab, du weißt, was ich meine.“
„Würdest du Papa denn verlassen, wenn er Krebs hätte?“ – „Natürlich nicht! Aber wenn er so alt gewesen wäre wie dein Auto, hätte ich ihn gar nicht erst geheiratet.“ Ich muss lachen. „Ich wusste gar nicht, dass du so oberflächlich bist.“ – „Wer von uns beiden fährt denn diesen Pornoschlitten?“
Die Argumente meiner Mutter sind schwer zu widerlegen. „Liebe Mama“, sage ich, „fahr doch einfach mal mit.“ Als wir uns verabreden, trägt sie einen Helm. Wir drehen eine große Runde. In Kreuzberg johlen ein paar französische Touristen. In Neukölln hupt eine junge Frau. Anerkennung auf allen Gesichtern. „Lieber nicht nach Charlottenburg“, sagt meine Mutter. Natürlich fahre ich trotzdem. In Schöneberg winkt uns ein älteres Ehepaar, am Savignyplatz fragt ein junger Mann nach dem Preis. Meine Mutter entspannt sich. „Wo geht’s als Nächstes hin?“, fragt sie. „In die Werkstatt“, sage ich, „das Beste kommt immer zum Schluss.“ Eva Mirasol
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