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berliner szenenSchnee rieselt zu Ostern

Im Tiergarten, an einem Weg zum Brandenburger Tor, steht ein kleines Mädchen. In der Hand hält sie eine hellblaue Melodica, auf den Boden hat sie eine Spardose gestellt, bedruckt mit Mangafiguren in glitzerndem Rosa und Türkis. Sie versucht, die C-Dur-Tonleiter zu spielen. Zwischen den einzelnen Tönen macht sie lange Pausen, und immer wieder setzt sie von Neuem an. Irgendwann lässt sich „Stille Nacht, heilige Nacht“ heraushören. „Die spult jetzt ihr gesamtes Weihnachtsrepertoire ab“, witzelt ein junger Spaziergänger. Die Mutter-Tante-Nachbarin an seiner Seite hat eine andere Vorstellung. Bestimmt sei die Melodica ein Weihnachtsgeschenk gewesen, seitdem übe sie, was das Gerät hergibt. Belohnen könne man dieses Üben ja noch nicht.

Das Mädchen scheint auch nicht darauf zu spekulieren. Jedenfalls wirbt sie nicht. Weder hat sie die Spaziergänger im Blick, noch ihre Spardose. Sie ist auf ihre Finger konzentriert und auf die Töne, die sie produziert. Ob sie arm ist? Ob sie Geld braucht?

Quatsch, sagt der junge Mann. So sehe sie doch gar nicht aus mit ihren dicken Stiefeln und der Markenjacke. Seine Vermutung: Die Eltern haben ihr das öffentliche Spielen als supercoole Auftrittsmöglichkeit verkauft. Sie haben sie hergefahren und holen sie demnächst wieder ab, sie wollten einfach mal eine Stunde Ruhe von diesem Gequäke haben. „Man denkt, Weihnachten ist endlich vorbei, und dann geht das im Wohnzimmer wochenlang weiter.“

Ein paar Tage später steht das Mädchen wieder da. Der junge Mann könnte richtig gelegen haben mit den genervten Eltern. Immerhin hat sie ihr Repertoire erweitert. „Leise rieselt der Schnee“, das passt sogar gerade. Nur, dass es „lieblich schallt“, wie es im Lied heißt, damit ist wohl frühestens zu Ostern zu rechnen – wenn alle Vögel schon da sind.

Claudia Ingenhoven

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