berliner szenen: Fühlt sich trotzdem falsch an
Brot gibt es immer. Seit ich bei Foodsharing Lebensmittel rette, habe ich gelernt, dass nach Ladenschluss Backwaren in oft unfassbaren Mengen übrig sind. Ein Samstag im Herbst, abends um acht in einem kleinen Weddinger Backshop. Zu zweit hatten wir Mühe mit dem Transport. Zu Haus sortierte ich auf dem Küchentisch vor. Einen Spinatbörek aß ich gleich. Etwa zwanzig weitere sahen mich traurig an.
Nicht ignorieren konnte ich die rund 35 belegten Brötchen mit Salami, Schinken, Ei und Käse. Meine NachbarInnen sind fast alle VegetarierInnen. Und auch mit Käsebrötchen kann man denen samstags abends um neun nicht mehr kommen. Die Suppenküche um die Ecke hat einen Annahmestopp für Brot, weil sie schlicht nicht mehr wissen, wohin damit. Und das Heim für Geflüchtete nimmt nichts mit Schweinefleisch.
Ich tat, was andere schon lange tun. Ich machte Essenspäckchen, belud mein Fahrrad und fuhr durch die Nacht. Am S-Bahnhof saßen wie immer drei obdachlose Männer. „Entschuldigung, darf ich Ihnen etwas zu essen anbieten?“, frage ich etwas nervös. Einer der drei war schon zu betrunken, der zweite sagte: „Ja, gerne. Das ist aber nett von Ihnen.“ Und teilte den Inhalt gleich mit dem dritten. Das Sofa unter der S-Bahn war leer. Ich legte eine verschlossene Tüte aufs Kopfkissen. Und dann fand ich im Prenzlauer Berg noch jede Menge bewohnter Lager unter der Hochbahn, auf denen Männer saßen. Es gibt Backshops, die zu viele Brötchen vorbereiten. Es gibt Menschen, die schlafen auf schmutzigen Matratzen im Stadtzentrum. Es ist gut, beides zusammenzubringen. Aber es fühlt sich trotzdem falsch an. Zu Hause aß ich noch einen zweiten Börek, bevor ich den gesamten Rest der Backwaren in eine große Kiste für meine NachbarInnen ins Treppenhaus stellte. Gaby Coldewey
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