berliner szenen: Der bunte Hund mit den Hunden
Hätte Peter Fox beim Texten seiner Berlin-Hymne meine Nachbarin gekannt, es hätte die Zeile „Jeder hat ’nen Hund, aber keinen zum Reden“ nie gegeben. Meine Nachbarin hat nicht nur einen Hund, sie hat drei und genau deshalb immer jemanden zum Reden. Inmitten eines Häuserblocks, wo kaum jemand weiß, welche Gesichter zu den Namen an den Briefkästen gehören, ist sie der bunte Hund mit den Hunden. Alle kennen sie und sie kann mit allen schnacken. Wetter. Der Kiez. Und immer wieder: die Hunde.
Ich vermute, wir anonymen Nachbar*innen teilen alle dieses seltsame Wissen über das Wohlbefinden ihrer Hunde, während wir uns gegenseitig noch nie richtig gegrüßt haben. Wenn ich im Homeoffice am Schreibtisch sitze, dringt ihre Stimme mit dem starken Berliner Dialekt alle paar Gassistunden zu mir hoch: „Du, ick wohn seit zwanzig Jahren hier – aber dit hat mich ja jewundert.“ Zack. Konzentration weg und ich würde am liebsten sofort zum Fenster gehen und ihre neueste Geschichte mithören. Sind gerade keine Menschen auf der Straße, spricht meine Nachbarin mit gleicher Lautstärke mit den Hunden. „Ja ja, du wieder. Willste wieder rennen. Biste wieder kaputt. Musste wieder kläffen. Ach, hör mir auf, du.“
Wenige Wochen nach Einzug in meine WG kam an einem Abend ihre französische Bulldogge zu mir getrabt und forderte Streicheleinheiten ein. Lachend kam meine Nachbarin dazu: „Ja, die weeß immer janz jenau, wer hier dazujehört. Hat se allet abjespeichert.“ Ich habe in die treuen Hundeaugen geschaut, versucht, mich an ihren Namen zu erinnern, und mich willkommen gefühlt. Vielleicht lerne ich bald auch ein paar Nachbar*innen kennen und wir reden in der WG nicht mehr über „die Familie oben“ oder „den stets bemühten Gitarrenspieler“. Ich denke, ich weiß, wo ich anfangen kann. Linda Gerner
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