berliner szenen: Wie Thomas Bernhard im Späti
Ich bin Zeitungsjunkie. Bevor ich nicht meine Tageszeitung gelesen habe, kann der Tag auch nicht beginnen. Als es dann irgendwann die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung gab, also eine Zeitung ausdrücklich für den Sonntag, die auch noch Spaß machte, war das für mich ein echter Segen. Sonntags morgen nicht nur Brötchen holen, sondern auch die FAS gleich noch mit dazu, wurde zum lieb gewordenen Ritual.
Aber es funktioniert einfach nicht mehr. Also die Brötchen kriege ich Sonntags schon noch, aber keine Zeitung mehr. Als es Ende letzten Jahres damit losging mit dem Öffnungsverbot für Spätis am Sonntag, hielten sich daran nur ein paar der Läden bei mir in der Nähe. Allerdings ausgerechnet diejenigen, in denen ich mir immer meine Lektüre holte. Gut, dann ging ich halt woandershin, auch so manches Frühstückscafé führte Lesestoff. Doch diese Läden verändern sich, aus Backshops werden in Friedrichshain fast immer vegane Hipster-Schuppen mit Smoothies, aber ohne Zeitungen.
Ich bin die letzten Wochen durch den ganzen Kiez gefahren, um mein Problem zu lösen, ich habe mich schon gefühlt wie Thomas Bernhard in „Wittgensteins Neffe“. Ich war sonntags in zig Spätis, in denen ich es noch nicht versucht hatte, aber in denen kriegt man inzwischen nicht mal mehr eine BamS. Es scheint um das Printprodukt Zeitung wirklich noch schlechter bestellt zu sein als gedacht, wenn nicht einmal die Spätis, die bekanntlich alles führen, was sich irgendwie verkaufen lässt, jenes noch im Angebot führen.
Die FAS hat das Problem ja inzwischen erkannt. In einem Pilotversuch soll die Sonntagszeitung jetzt schon am Samstag verkauft werden. Allerdings vorerst nur in irgendwelchen Provinzstädten. Wahrscheinlich in der Annahme, in Berlin läuft das schon. Nein, tut es nicht.
Andreas Hartmann
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