berliner szenen: Lieber die Sachen von den Jungs
In der Kita meiner Tochter sind beinahe nur Jungen, und die wenigen anderen Mädchen sind so gut wie nie da. Daher spielt meine Tochter fast ausschließlich mit Jungs. Seit Längerem findet sie alle „Junggsachen“ cool und Mädchensachen „eklig“. Unter „Jungssachen“ fallen für sie Aktivitäten wie Klettern und Fangen. Unter „Mädchensachen“ Flechtfrisuren, Rosa und Röcke. Lange fand meine Tochter Puppen „peinlich“. Erst als sie gesehen hat, dass ein Freund von ihr mit einer Puppe spielt, hat sie ihre Meinung geändert und sich auch eine gewünscht.
Seit Neuestem möchte sie nur noch „echte Jungssachen“ tragen. Daher habe ich gemeinsam mit ihr alles, was ihr zu mädchenhaft war, verschenkt und sie in einem Secondhandladen neue Klamotten aussuchen lassen. Sie hat sich Ninja-Socken, ein Spiderman-Achselshirt, Fußballshirts und Shorts ausgesucht. Heute zieht sie auf dem Weg zu einer Verabredung mit einer alten Freundin von mir und deren Dreijähriger trotz 30 Grad im Schatten eine Wollmütze an und bittet mich, ihre Haare unter der Mütze zu verstecken: „Damit alle denken, ich sei ein Junge.“ Mit der Wollmütze, Jeansshorts, Fußballshirt und Fußballschuhen sieht sie tatsächlich wie das Klischee eines Jungen aus. Als ich ihr auf dem Weg eine Flasche Wasser kaufe, reicht der Kioskbesitzer mir einen Lolli: „Für den kleinen Mann.“ Meine Tochter ist die ganze Fahrt über glücklich.
Auf dem Spielplatz rennt sie plötzlich weg, um einen älteren Jungen zu jagen. Als sie wiederauftaucht, ruft sie stolz: „Er hat gefragt, ob ich sein bester Freund sein will.“ Ich grinse. Meine Freundin meint: „Das hätte er ohne die Mütze sicher nicht gefragt.“ Meine Tochter zischt: „Pscht! Seid leise! Ich will doch sein Freund sein!“ Die Tochter meiner Freundin meint lächelnd: „Du bist auch mein bester Freund.“
Eva-Lena Lörzer
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