berliner szenen: Nichts davonist gut
S-Bahnhof Messe Nord. Es ist kurz nach sechs. Ich bin auf dem Weg zu einem Konzert, scrolle durch den Twitterfeed, höre Musik. Ich schlendere Richtung der Treppen, die zum U-Bahnhof Kaiserdamm führen. Stress habe ich nicht, J. hat geschrieben, dass sie sich verspäten wird. Plötzlich spüre ich einen Arm an meiner rechten Hüfte, ein fester Griff, eine Hand an meinem Hintern. Ich erschrecke mich, stoße die Person hinter mir instinktiv weg, bevor ich hochschaue.
Ein Mann, vielleicht zehn Jahre älter als ich, graue Mütze, Bart. Er schaut mich an. Ich kenne ihn nicht, erschrecke mich. Ich rufe etwas. Der Mann beginnt zu lachen: „Sorry, I thought you’re my girlfriend. Sorry. Alles gut.“ Ich schaue ihn an, stammele: „Das geht gar nicht, du kannst mich nicht anfassen.“ Er lacht wieder. „Sorry.“ Ich schaue mich um und realisiere, dass niemand in unserer Nähe ist. Niemand hat die Interaktion mitbekommen. Ohne länger nachzudenken, entziehe ich mich der Situation, sage etwas wie: „Dann will ich das besser glauben.“
Ich gehe mit großen Schritten die Treppe hoch und bemerke, dass der Typ hinter mir ist. Er folgt mir bis zur U-Bahn. Am Gleis stellt er sich neben mich, grinst wieder und sagt: „Sorry, alles gut.“ Ich sage nichts, fühle mich mies. Ich steige in die U2 ein und setze mich. Wenig später sitzt der Mann mir gegenüber. Er ist allein, es ist keine Freundin zu sehen. Er schaut mich unverhohlen an. Ich bekomme Angst. Die Bahn hält, Endhaltestelle. Ich steige aus und setze mich auf die nächste Bank. Ich schaue nicht hoch, um zu sehen, ob er noch irgendwo ist. Ich starre auf den Bildschirm meines Smartphones. Irgendwann fange ich an zu tippen. „Mir ist gerade was Seltsames passiert. Ich warte im U-Bahnhof Theodor-Heuss-Platz.“ Als J. kommt, erzähle ich und muss weinen. Dann werde ich wütend. Linda Gerner
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