berliner szenen: Die Sache mit dem Pusten
A. lädt mich zu einem vorweihnachtlichen Abend ein und schlägt einen Kirchenbesuch vor. Ich muss lachen. A. ist Atheist, pflegt aber katholische Traditionen. In seinem Atelier hängt eine Madonna und er liebt katholische Kirchen. Auf meinem Weg zu der Kreuzberger Kirche spürt man, dass das Weihnachtsfest bevorsteht. Die Gesichter in der U-Bahn sind hektisch oder leer.
A.s Gesicht dagegen ist voll erwartender Aufregung, vergleichbar mit der von Kindern im Kino, kurz bevor es im Saal dunkel wird. Als wir uns drinnen in eine Kirchenbank setzen, überträgt sich die Stille sofort auf uns. Es riecht nach Weihrauch und Kerzen.
Ein Geldstück fällt in die Kasse, eine Frau zündet eine Kerze an. Das Kind auf ihrem Arm pustet die Flamme wieder aus. A. und ich lächeln. Die Frau zündet die Kerze erneut an, das Kind beugt sich nach vorn, aber die Frau tritt einen Schritt zurück. Das Kind bewegt sich ungestüm. Es will herunter.
Kaum steht es auf dem Boden, läuft es nah an die Kerzen heran und versucht, sie auszupusten. Es ist zu klein, die Flammen flackern lediglich. Erbost schreit es auf. Die Kirche wirft die Stimme von den Wänden. A. und ich lachen leise. Ein alter Mann kommt vorbei: „Ja, haben Sie das Kind denn gar nicht im Griff?“ A. muss lauter lachen. Der Mann dreht sich um: „Und was gibt es da zu lachen?“
„Das ist doch nur ein Kind“, sagt A.
„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“, antwortet der Mann.
Das Kind ruft laut: „Ich bin aber Mia.“ Sie betont jedes Wort. Und dann pustet sie den Mann an, als wollte sie ihn wegblasen.
Er schüttelt den Kopf: „Ihr werdet alle noch sehen, was ihr davon habt.“ Draußen sagt A.: „Wenn ich mal Kinder hab, bringe ich ihnen das mit dem Pusten auch bei.“
Isobel Markus
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