berliner szenen: Das Suchtbeast füttern
Dafür, dass der Typ skelettdürr ist und ihm außerdem auch noch ein klirrender Plastiksack mit leeren Flaschen über die Schulter baumelt, ist er verdammt schnell. Sprintet über die rote Ampel, rennt frontal in einen anderen skelettdürren Typen rein, dann weiter, dann dreht er sich kurz um. „Mein Partner ist tot. Haste gehört, oder?“ Der andere: „Und weißte das mit dem Großen schon?“ Nein, weiß der Sportler nicht. „Der ist im Knast.“ Der Rest vom Dialog, falls es einen gibt, findet außer Hörweite statt.
Ich biege um die Ecke, überlege aber kurz, ob ich nicht vielleicht doch zurückgehen soll, um weiter zu hören. Aber ich bin nicht in der Stimmung. Mir diese Leben vorzustellen, reicht vorerst als Päckchen für den Tag. Am Abend bespreche ich mit S. ein Projekt und wir machen uns wieder einmal darüber lustig, dies in einem Café zu tun, in dem alle Projekte besprechen. Als ein weiterer skelettdürrer Typ vorbeikommt, der Arts Of The Working Class – eine Art Kunstvariante der Motz – verkauft, will ich eigentlich sagen, dass ich schon ein Herbstexemplar habe. Aber ist ja egal. Das Verkaufsargument zieht: Magenkrämpfe, seit drei Tagen nichts gegessen. Wir glauben nichts, kaufen beide, runden auf, sagen noch was Nettes.
Am nächsten Morgen muss ich früh zur U-Bahn. Ich hab’s eilig. Aber plötzlich halte ich an. Etwas kam mir bekannt vor auf dem Weg. Ich gehe zurück. Da liegt ein großer zerwühlter Stapel Arts Of The Working Class, dazu der Anorak von gestern, ein Blazer, ein Glas mit der Aufschrift Kidneybohnen, in dem randvoll Reis und Soße geschichtet sind. Ich stöbere mit spitzen Fingern. Hebe eine Zeitungslage an. Darunter eine Spritze. Ein Satz aus dem Editorial springt mir ins Auge: „We shouldn’t have to babysit the beast.“ Ja, klar, ich weiß. Ich hoffe, er ist nicht tot. Astrid Kaminski
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