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berliner szenenElif hat keinen Kühlschrank

Im Discounter höre ich von Weitem ein erregt auf Türkisch geführtes Gespräch. Nein, eigentlich spricht nur eine Stimme erregt, eine weibliche. Die männliche, die dazwischen zu hören ist, klingt umso gelassener. Ich stelle mich in die Kassenschlange hinter die Quelle des Wortwechsels: eine Gruppe von drei Menschen, die so aussehen, als habe sie jemand mit Hang zur übertriebenen Typisierung für eine Vorabendserie gecastet. Die Frau mit der aufgeregten Diktion ist klein und zierlich, trägt ein langes buntes Kleid und hat ein markantes, vogelartig spitzes Profil.

Der Mann mit dem Phlegma in der Stimme ist auch optisch ihr ganzes Gegenteil, angefangen bei seinem Gesicht, das so rund, fleischig und freundlich ist, dass man bei seinem Anblick umgehend ganz friedlich werden möchte. Dazu ist er groß und massig, ohne dick zu wirken, bringt aber sicher mehr auf die Waage als seine beiden Begleitpersonen zusammen. Der Dritte ist ein spilleriger kleiner Standarddeutscher mit schütteren Bartfransen und einem schmutzigweißen Tanktop, das ihm sackähnlich um die Knochen hängt. Wohl ihm zuliebe wechseln die beiden nun ins Deutsche. „Du musst auch mal an dich denken!“, sagt die Frau zum Großen, „das geht so nicht!“ Milde guckt er auf sie runter und sagt: „Du verstehst die Männer überhaupt nicht.“ Der Spillerige wirft ein: „Wir verstehen die Frauen aber auch nicht.“ Er wird ignoriert. Der Große sagt: „Ich hab Elif schon gesagt, wenn es das nächste Mal so warm wird, pennen wir bei mir. Elif hat keinen Kühlschrank! Elif hat keinen Fernseher! Elif hat kein Bett!“

Dann ist er dran. Er bezahlt drei Anderthalb-Liter-Flaschen Limo. Die Frau kauft eine Tafel Yogurette. Der Spillerige kauft nichts und trottet hinter den anderen her zum Ausgang. Ich versuche mir vorzustellen, wie Elif wohl aussieht. Katharina Granzin

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