berliner szenen: Sie brüllen, lachen, johlen
Rund um den neunten Kreis der Hölle fährt ein 124er, vollbesetzt mit pubertierenden Teenagern, nach einer Doppelstunde Latein. Es ist 14.30 Uhr, sie fahren nach Hause, immer nach Hause, immerzu.
Sie necken sich, sie können nicht anders. Einer ziept alle zwei Minuten an der pelzbesäumten Kapuze seiner Teenagervorderfrau, es ist kalt draußen, sehr kalt, es zieht durch das Plastik des Gelenkelelements. Die Hölle ist offensichtlich zugefroren.
Die Teenagervorderfrau weiß nicht genau, wie sie das findet, jedes Mal reagiert sie anders; belustigt, genervt, gelangweilt, wütend, verunsichert, geschmeichelt, jede Regung geht durch sie hindurch in ihren Blick hinein, legt sich auf ihre Stimme, wenn sie „Hey“ sagt oder „Mann“, oder „Echt jetzt?“ Mehr sagt sie nicht, sie weiß ja auch nicht, es gibt keine Gewissheiten in diesem Bus, es ist ein Ort des Zweifels. Des Zweifels an sich selbst.
Ihre Nebenfrau schaut, sie weiß nicht wohin, vor sich, aus dem Fenster, auf ihre Fingernägel, manchmal lacht sie, manchmal schnutet sie, manchmal würde sie am liebsten mit einem Hämmerchen abwechselnd dem Hintermann, der Vorderfrau die Schädeldecke aufklopfen.
Ganz hinten sitzen acht junge Männer und schubsen sich, weil sie nichts sonst anzustellen wissen mit ihren Körpern, dabei brüllen sie, lachen, johlen und feixen. Es gibt auf diesen Plätzen nur noch Worte mit einer, höchstens zwei Silben, die Sprache ist zu Ausrufen verblasst; nur die Blicke irrlichtern, es gäbe so viel zu sagen, aber auf welcher Grundlage, keiner weiß es, alle gucken skeptisch, beschwingt, verängstigt und euphorisch. Hier kann niemand sich auf sich verlassen, die guten Geister sind tot.
Ein Platz ist noch frei, mitten im Trubel, nahe der hinteren Tür, und dieser Platz ist für dich, ja, nur für dich: Du wirst wissen, was du getan hast. Frédéric Valin
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