berliner szenen: Ich schnall den nicht mehr ab
Fußball in der Kunstrasenhalle. Frank ist das erste Mal da. Der sportliche Mittvierziger sagt: „Ich hab länger nicht gespielt.“ Kaum kriegt er die Murmel, bleibt er mit dem Schuh im trockenen Untergrund hängen. Hallenfußball ist gefährlich. Man knickt schnell um, kriegt den Ball aus kürzester Distanz ins Gesicht. Teuer ist es auch: Ein Platz pro Stunde kostet schon mal 50 Euro. Dafür werden Komplettpakete für Kindergeburtstage angeboten.
Frank liegt am Boden, schreit wie am Spieß. Das Wadenbein ist komplett durchgebrochen. Die Stelle schwillt an, bald hat er eine richtig dicke Kugel oberhalb des Knöchels. Das hat die Natur klug geregelt, jetzt hat er quasi eine Naturschiene. Wir nehmen ihn hoch, setzen ihn auf die Bank. „Geht schon wieder“, meint er. Einer ruft 112. Der Arzt ist da, mit ihm kommen acht Feuerwehrmänner, geschätzt keiner älter als 12. Alle wollen helfen, schieben und ziehen an dem Patienten. Bald liegt er in einer großen Plastikwanne. So kann er aber nicht raus. Die Halle ist so eine, die man aufbläst, man betritt und verlässt sie durch eine Drehtür, eine Art Schleuse. Ansonsten würde sie zusammenfallen. Irgendwo läuft ein Kompressor. Der Arzt will durch den Notausgang, eine große Flügeltür. Der Hallenbesitzer: „Dann kracht die Halle zusammen.“ Wir rufen: „Wir humpeln mit dem Verletzten durch die Drehtür. So haben wir ihn ja auch vom Platz gekriegt!“
Der Arzt: „Ich schnall den jetzt nicht mehr ab. Wo kämen wir denn da hin?“ Frank wird von acht Männern durch die Flügeltür getragen. Die Luft entweicht, das Hallendach kommt runter. Da sind noch Dutzende Menschen, spielen Tennis, Badminton, Volleyball. Das hat sich jetzt erledigt. Die Halle hat nie wieder aufgemacht. Eine Woche später hing am Eingang ein Schild: „Geschlossen wegen Betriebsaufgabe.“
Jürgen Kiontke
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