berliner szenen: Ich konnte den Piloten sehen
Der Flughafen Tempelhof ist jetzt seit zehn Jahren geschlossen, stand neulich in der Zeitung. „Krass, so lange sind wir schon zusammen!“, sage ich zu Paul. Ich weiß noch, wie ich das erste Mal bei ihm übernachtete. Er wohnte in einer WG in der Hermannstraße in Neukölln, an dem Ende, das wohl nicht mal heute für cool gehalten werden kann. Die WG war in einem Altbau, zweites OG, über eine ganze Etage. Das klingt dekadenter, als es war. Es waren zwei Wohnungen, und wenn man was suchte, war es garantiert gerade in der anderen Wohnung.
Pauls Zimmer hatte drei Außenwände, war aber trotzdem ein Berliner Zimmer mit Fenster in der Ecke, das auf einen Friedhof hinausführte. Auf der anderen Straßenseite war ebenfalls ein Friedhof, und hinter dem Friedhof begann das Tempelhofer Feld. „Nicht erschrecken“, murmelte er beim Einschlafen, „wir sind hier mitten in der Einflugschneise für Tempelhof.“ – „Pff“, lachte ich spöttisch, „ich wohne in Pankow in der Einflugschneise für Tegel, da wird Tempelhof ja wohl kaum schlimmer sein!“ Am nächsten Morgen, Paul war in der anderen Wohnung, um Kaffee zu kochen, donnerte plötzlich ein ohrenbetäubendes Dröhnen über mich hinweg. Als würde mir der Himmel auf den Kopf fallen. Ich saß nicht aufrecht im Bett, ich stand! Nackt und zitternd vor Schreck. „Was ist hier los!?“, schrie ich in Panik. Da flog, direkt vorm Fenster, vor dem das Bett stand, auf dem ich stand und schrie, ein Flugzeug vorbei. Ein echtes Flugzeug! Im zweiten Obergeschoss eines Altbaus. Ich konnte den Piloten sehen!
Da kam Paul zurück ins Zimmer. Er hielt zwei dampfende Kaffeetassen in den Händen. „Da war ein Flugzeug!“, schrie ich. „Eben gerade! Direkt vor dem Fenster!“ Paul, völlig unbeeindruckt, erwiderte: „Ich hab dir doch gesagt, dass ich in der Einflugschneise wohne.“ Lea Streisand
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