berliner szenen: Die schwarzen Krümel
Seit Beginn des neuen Schuljahres bevölkern fremde Kinder unsere Wohnung. Sie essen Chips auf meiner Couch, sitzen an meinem Küchentisch, wandern durch die Wohnung, als ob sie schon seit Jahren hier lebten, und sehen mich etwas erstaunt an, wenn ich abends nach der Arbeit dort auftauche. Das Kind hat auf dem Gymnasium seinen Freundeskreis ausgebaut, und wir sind offenbar der einzige Haushalt mit auswärts arbeitenden Eltern. Ich toleriere das großzügig, solange sie sich zumindest bemühen, die Ordnung aufrechtzuerhalten, ihr Geschirr abwaschen und die Krümel wegsaugen.
Aber als ich heute nach dem Sport, zwei Stunden später als sonst, um acht nach Hause komme, ist irgendwas anders. Das Kind ist noch beim Basketballtraining. Ich hebe eine leere Mateflasche auf und finde dabei den Badezimmerschlüssel auf dem Fußboden. Der Küchenboden ist übersät mit schwarzen Krümeln, der ganze Raum riecht fremdartig und undefinierbar.
Im Wohnzimmer brennt Licht, weshalb ich gleich zwei weitere Zimmerschlüssel auf dem Teppich bemerke. Was ich auch sehe, ist mein Birkenstock-Pantoffel. Den anderen finde ich trotz intensiver Suche nicht. Das Zimmer ist kälter als die anderen, was daran liegt, dass die Balkontür unserer Erdgeschosswohnung offen steht.
Im Kinderzimmer ist es genauso kalt. Auch hier steht ein straßenseitiges Fenster weit offen. Auf dem Fußboden liegen zwei Deospraydosen. Ich nehme sie mit, um sie wieder ins Bad zu stellen. Dort finde ich zwei selbst gedrehte Zigaretten, daneben aufgeschnittene Früchteteebeutel. Das Bad ist komplett überheizt. Klar, auf der voll aufgedrehten Heizung trocknen drei mit Kaffee getränkte Briefe, unter anderem mein Steuerbescheid. Ob jetzt der Zeitpunkt wäre, die Spurensicherung anzurufen?
Gaby Coldewey
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