berliner szenen: Unterwegs mit Lastenrad
Die Frau hat sich einen ungünstigen Platz ausgesucht. „Charlottenburg“ steht auf ihrem Pappschild, das sie in Trampermanier hochhält, und vom Alexanderplatz aus gesehen, gäbe es ambitioniertere Ziele. Spandau, Hannover, Paris. Aber an dieser Stelle der Karl-Liebknecht-Straße verläuft am Straßenrand erst einmal eine Radspur. Daneben stehen häufig Busse, ansonsten meist Rechtsabbieger. Die wollen von hier aus wohl eher nach Gesundbrunnen, zum Hackeschen Markt oder in die Tiefgarage des angrenzenden Bürogebäudes. Wer geradeaus fährt und nach Charlottenburg will, dürfte die Frau mit dem Pappschild übersehen.
Eine Ampelphase, noch eine Ampelphase, die Frau streckt ihr Schild nach vorne, niemand hält, um ihr eine Mitfahrgelegenheit anzubieten. Dann geht auf einmal alles ganz schnell. Es gibt Rot, vor der Ampel bildet sich der übliche Stau aus Pkws, Transportern, einem BVG-Bus, auf der Radspur am Rand ein Pulk von Fahrrädern, dazwischen versucht noch der Fahrer eines Elektromofas, einen Weg zur Poleposition für die nächste Grünphase zu finden. Unter den Fahrradfahrern: ein Kurier. Unterwegs mit Lastenrad. Keiner dieser dreirädrigen Riesen mit Holzbox vorne, wie sie mitunter auf Gehwegen unterwegs sind, sondern ein wendiges Zweirad in Knallgrün, mit niedriger Ladefläche zwischen Vorderrad und Lenker, ohne irgendeine Art von Sitz oder Polsterung auf der Fläche, aber auch ohne Ladung.
Die Frau spricht ihn an. Er zeigt kein Zeichen von Überraschung, man wird sich anscheinend schnell einig, die Frau – eher 1,80 als 1,60 – steigt auf die Ladefläche, faltet sich zusammen. Die Ampel springt auf Grün. Der Kurier tritt in die Pedale, überholt zügig die anderen Radfahrer. Schneller als mit dem Bus wird die Frau mit ihm auf alle Fälle nach Charlottenburg kommen.
Svenja Bergt
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