berliner szenen: Kostenlose Beratung in Moabit
An einem Freitagmorgen sitze ich bei 30 Grad im Schatten vor einer kleinen Bäckerei um die Ecke des Amtsgerichts Moabit. Ein circa Dreißigjähriger bestellt einen Kaffee zum Mitnehmen und setzt sich an den Nachbartisch. Als der Kaffee kommt, springt er auf und bittet mich um Feuer: „Ich bin so nervös, ich habe mein Feuerzeug vercheckt – ich muss gleich vor Gericht.“
Ich habe mehrere und schenke ihm eins. Er sieht mich schief an: „Voll nett, danke.“ Er zündet seine Zigarette an: „Is nichmein erstes Mal hier. Vor’nem Jahr haben mich schon mal paar Scheißkontrolleure angezeigt, von wegen Körperverletzung. Natürlich Bullshit. Am Ende musste ich zahlen, weil ich die Wörter von diesen Scheißrechtssachen da nicht kannte und keinen Verteidiger hatte.“
Er raucht hastig, drückt seine Zigarette in meinem Aschenbecher aus und zündet beinahe zeitgleich eine neue an: „Und jetzt hat mich meine irre Nachbarin angezeigt, von wegen ich hätte sie angefasst. Ich hab ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen, das war’s.“ Er läuft rot an, seine Hände zittern: „Und meine Ex war dabei und hatte heute einfach keinen Bock, mitzukommen. Das Gericht meint, ich brauche keinen Pflichtverteidiger – aber ich sehe mich für die Kacke gerade bereits in den Knast …“
Ich unterbreche ihn in seinem Redeschwall: „Das Wichtigste ist, erst einmal Ruhe zu bewahren. Dass du dich so aufregst, lässt dich nicht gerade souverän wirken.“ Er sieht mich groß an und meint: „Okay. Also ruhig bleiben und so?“ Ich muss grinsen: „Genau. Tief durchatmen, weniger sprechen.“ Eine Stunde später steht er wieder vor meinem Tisch, Tränen in den Augen: „Ich habe gerade Gerechtigkeit erfahren: Die haben mir geglaubt. Einer der besten Tage ever. Danke für Feuerzeug und Tipp!“
Eva-Lena Lörzer
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