berliner szenen: Ein Fake von einem Lächeln
Alles grau in grau. Ein Sonntag ohne Sonne. Nur sehr mühsam gelingt es mir, das Sofa zu verlassen, und so laufe ich, der Frischluft wegen, ohne Plan und ohne Ziel leergefegte Straßen entlang. Obwohl der Sommer begonnen hat, steigen in mir melancholische Herbstgefühle auf, während um mich herum alles zu schlafen scheint. Nur sehr langsam bewege ich mich fort, der Wind weht mir ins Gesicht.
Ich biege in die Köpenicker Straße, die meine Stimmung nicht aufzuhellen vermag. Nur ein paar Autos, sonst nichts. Und aus dem Nichts höre ich plötzlich eine Stimme. Ich laufe weiter, nähere mich der Stimme, die von der durch Plakattafeln verdeckten Bushaltestelle kommen muss.
Auf der Bank sitzt ein älterer Mann mit Dreißigtagebart, dessen Grau sich deutlich von der schwarzen Kapuzenjacke abhebt. Eine Taube in der Farbe des Bartes tänzelt um ihn und eine große Einkaufstüte herum.
Ansonsten ist der Mann alleine, denkt es aber nicht zu sein. Er hält ein Stück Brot zu einem strahlend weißen Dr.-Best-Lächeln. Doch die gut gelaunte Frau hinter dem Glas reagiert nicht auf das Stück Brot, auf ihn, obwohl ihr Blick genau den Alten anvisiert. „Nimm doch jetzt, hab ich extra aufgehoben für dich“, sagt er und kommt dem Plakatlächeln mit dem Brotstück immer näher. „Jetzt iss schon“, sagt er weiter. Seine Stimme wechselt vom Vertrauten ins Verzweifelte.
Kurz überlege ich, ihm zu sagen, dass die Frau und das Dr.-Best-Lächeln nur Fake sind, komme mir aber dann albern vor. Womöglich weiß er das auch, nur ignoriert er bewusst ihre Plakathaftigkeit.
Lieber Schein als gar kein Sein um sich herum, mit dem er sich unterhalten kann, denke ich, als der Mann plötzlich meine Anwesenheit bemerkt. Sein Blick wendet sich ab von der Plakatfrau und geht in meine Richtung. Als sich unsere Blicke treffen, lächele ich. Echt.
Eva Müller-Foell
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