berliner szenen: Stabil, aber nicht ansprechbar
Irgendwie war ich sauer, dass er sich dieses Wochenende für seinen Zusammenbruch ausgesucht hatte, das erste seit Langem, an dem ich ihn nicht besucht hatte, weil ich in Schleswig-Holstein gewesen war. Meine Mutter war gestorben, in drei Tagen war die Beerdigung in Westdeutschland. Alles war dramatisch gewesen, und ich hatte die Nase voll von Krankenhäusern und Schutzanzügen mit Mundschutz.
Die blonde, schlanke Ärztin sagte, M. sei stabil, aber nicht ansprechbar. Ich zog mir den Schutzanzug an und achtete darauf, den Mundschutz richtig anzubringen. M. sah aus wie ein Boxer nach einem schweren Knockout. Ordentlich verdrahtet, Hals und Gesicht geschwollen. Ich schaute ihn an; er war mir ein bisschen fremd, ein bisschen vertraut, er erkannte mich, ohne etwas sagen zu können. Ich erzählte vom Tod meiner Mutter, und wie sie gesagt hatte, ich habe alles falsch gemacht, und wie ich geantwortet hatte, ich auch, und wie sie dann gelächelt hatte. Dann ging ich wieder und wartete.
Der Stationsarzt war kurz angebunden und durfte mir keine Auskunft geben, weil ich weder eng verwandt, noch Betreuer war. Erst beim Hinaustaumeln aus der Station, vielleicht sogar erst, als ich auf dem Gelände hinter dem Krankenhaus vergeblich einen Ausgang suchte, fiel mir ein, dass ich vielleicht doch M.’s offizieller Vertreter auf Erden bin. Vor zwei Jahren hatte ich irgendwas unterschrieben, als seine Pflegestufe geprüft worden war. Ich hatte aber keine Lust, noch einmal zurück zu gehen, und fürchtete, sie würden mich dabehalten, um mich auf Krankenhauskeime zu untersuchen. Dann wähnte ich mich in Gefahr, wegen des bemitleidenswerten Freundes die Beerdigung meiner Mutter zu verpassen. Zum Glück bin ich aber doch nicht sein Vormund, den Rest kann er selber erzählen, wenn es ihm wieder besser geht. Detlef Kuhlbrodt
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