berliner szenen: Spielst du heimlich Playmobil?
Ich habe mir den ersten Bänderriss meines Lebens zugezogen. Mit 46 Jahren. Bei einer altersgemäßen, umsichtig gewählten Betätigung. „Sportschau“ gucken. Während Union gegen Regensburg in Führung geht, stolpere ich über eine blöde Angelegenheit. Eine Kiste Playmobil. Eigentlich ist die Kiste keine blöde Kiste, aber wenn man drüber stolpert und es im Fuß Rrrtschmacht, wird aus einer prallgefüllten Playmobilkiste ratzfatz eine dermaßen blöde Angelegenheit, die da einfach nicht rumzustehen hat!
Ich liege auf dem Boden und weiß genau, was Sache ist. Ein paar schmerzverzerrte laute Flüche entfahren mir, ehe die Mädchen ins Wohnzimmer kommen und fragen: „Wie steht es, Papa?“ Und: „Ist das der Trainer?“ Und dann: „Spielst du etwa heimlich mit unserem Playmobil?“ Ohne darauf einzugehen, schicke ich die beiden Eis holen, lege das Bein hoch und blicke noch mal rüber zum Fernseher. Union kassiert den Ausgleich. Dann kommen die zwei mit dem Kühlpack und fragen, was passiert ist. Ich beantworte alle ihre Fragen: 1:0 – ja – nein – Bänderriss. Innerlich fluche ich zwar noch mal, weiß aber, dass die Kinder nichts dafür können. Stattdessen fangen sie an, vorbildlich Erste Hilfe zu leisten. Nele hält den Kühlpack auf den Knöchel, während Romy mit ihrem Arztköfferchen dasteht und erst mal den Blutdruck misst. Es ist rührend, wie sie sich um den Verletzten kümmern.
In der „Sportschau“ zeigen sie die Tabelle, und irgendwo im Hinterkopf weiß ich: Es gibt Schlimmeres, als mit einem Bänderriss in einem beheizten Wohnzimmer zu liegen, mit genug Essen im Schrank, etwas Geld auf dem Konto und sogar einem Auto vor der Tür. Nach einer Weile, die ich so daliege, sage ich genau das zu den beiden: „Na ja. Es gibt Schlimmeres.“ Sie blicken mich an. „Wenn Union verliert?“ Ich blicke zur Tabelle und schüttle den Kopf. Jochen Weeber
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