berliner szenen: Brieftaubenfortflug
SIE IST WEG
Ach, deshalb war sie nicht davongeflogen. Die Taube, die sich auf unserem Balkon Nahrung und freundliche Unterbringung unter dem Vorwand erschlichen hatte, eine Brieftaube zu sein, ist enttarnt worden. Sie war nicht etwa eine Nachrichtenüberbringerin, die vor einem großen Auftrag bei uns noch einmal zu Kräften kommen wollte, sondern eine Zuchttaube. Die gar nichts transportiert. Die nur edel ist. Und schön. Das war nach einer wahren Telefon-Odyssee durch Berlins Taubenfreundezirkel zu erfahren. Eine Brieftaube unterscheidet sich von einer Zuchttaube nämlich durch eine Nummer am Ring. Hatte unsere nicht. Deshalb war für uns nicht etwa Professor Sturm von der FU zuständig (Manischer Brieftaubenmann, dessen Ehefrau eine Taubenallergie hat. Das sind Schicksale.). Sondern der verhinderte Veterinärmediziner Storch. Der kam nun also mit einem kleinen Karton, um das zugeflogene Edeltier nach gut einer Woche von unserem Balkon zu entfernen. Sofort war er verzaubert: „Ach, ein Berliner Tacker. Ja, mit denen kenn ich mich aus.“
Da hätten wir aber Glück, meinte er. So viele züchteten diesen Vogel, der vor vielen hundert Jahren aus dem Orient eingeführt worden war, in Berlin gar nicht. „Eigentlich ausschließlich Türken“, meinte Storch und wusste auch gleich, welchem türkischen Kollegen gerade einige Tacker verloren gegangen seien. Aber, wenn dieser nun nicht vermisst würde, dann behalte er ihn gerne selbst. Und streichelte das frisch gefangene Tier. Äußerte leise Entrüstung, dass wir das Tier zu gut gefüttert hätten („Ich halte die ja eher kurz“), und erklärte, der gute Tacker müsse jetzt ohnehin erst mal in Quarantäne. Der Kot, von dem er reichlich produziert hatte, würde in ein Taubenkotlabor nach Essen geschickt, das dann eine Unbedenklichkeitserklärung verschicke. Na ja. Jetzt ist er also fort. Der Tacker. Und in seriösen Händen. vw
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