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berliner szenenZornig am Ku’damm

Der Prophet

Anfangs war er kaum zu erkennen. Er hatte ein gepflegtes Äußeres, trug ein gut geschnittenes Jackett und den Schirm locker über dem Arm. Lediglich das von rechts nach links über die Glatze pomadierte Haar zeigte, dass dieser Mann nicht ganz in der Gegenwart angekommen war. Die ihm entgegenkommenden Passanten aber sahen ihn durchweg entgeistert an. Als ich neben ihm ging, sah ich sein rotes Gesicht. Er war wütend, ja, er war empört! Er schrie auch just in dem Moment, da ich ihn das erste Mal ansah: „Was ist aus diesem Land geworden?“, und gestikulierte wild mit seinem Schirm Richtung Ku’damm-Fahrbahn hin. Zwei Bauarbeiter lachten ihn aus. Ein junger Mann äffte ihn als typischen Blödmann nach. Dann begegnete dem Schreihals eine schwarzhäutige Frau. Prompt rief er: „Da! Da! Da sieht man’s! Wie die hier rumlaufen! Alles Neger hier!“ Er gestikulierte wieder Richtung Fahrbahn. Und sprach so hektisch, dass man ihn kaum verstand. Sein Kopf blieb rot. „Was schrein Se denn so, Sie! Sie!“, bellte ihn jetzt ein empörter alter Mann mit dreistem Schnauz an. Ich verließ den Gehweg und bog nun in ein Kaffeehaus ab. „Früher hätte man so was gleich weggesperrt“, sagte dort bitter enttäuscht eine ältere Dame. Das beruhigte meinen Zorn, denn nun konnte ich hoffen, dass sich der Faschismus in Deutschland vielleicht nur als Farce wiederholen wird: Der Mob hängt zuerst seine Propheten auf. JÖRG SUNDERMEIER

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