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berliner szenenSie ist ja Fotografin

Im Café

Ich Sitze im Café und freue mich auf das Sandwich und den Waldbeerenshake, die ich gleich bestellen werde. Den ganzen Tag habe ich nichts gegessen, und jetzt leiste ich mir zur Belohnung etwas Besonderes.

Da kommt auch schon die Kellnerin. Nein, das ist die Frühstückskarte, sagt sie, das gibt’s jetzt nicht mehr, hier ist die Abendkarte. Soll’s denn schon mal was zu trinken sein? Ich bestelle verwirrt einen Kaffee und studiere die Abendkarte. Na, dann eben ein Salamibaguette, ist noch teurer als ein Waldbeerenshake und ein Sandwich, aber egal, ich habe heute noch nichts gegessen.

Nachdem sie mir den Kaffee gebracht hat, warte ich eine halbe Stunde darauf, dass die Kellnerin sich an meinen Hunger erinnert. Dann beschließe ich bockig, nichts mehr zu bestellen. Eigentlich bin ich sogar stinksauer. Aber sie ist nett und nur etwas zerstreut und merkt gar nicht, dass ich aus Trotz nichts mehr bei ihr bestelle.

Sie gibt mir gar keine Gelegenheit dazu. Trotzdem bin ich stinksauer und hungrig noch dazu. Aber sie ist eben ungeschickt und eigentlich keine Kellnerin, sondern wahrscheinlich Fotografin. Aber ich habe Hunger. Aber sie kann doch nichts dafür, das ist doch in diesem Fall einmal wirklich keine Absicht, und ich will den Job auch nicht machen. Aber ich sitze hier mit einem Kaffee für nach dem Essen und trinke ihn auf leeren Magen und bekomme Sodbrennen.

Später bezahle ich nach langem Winken und überlege, ob ich dabei süffisant anmerken soll, dass ich eigentlich ja etwas essen wollte. Aber dann würde sie sich sicherlich Vorwürfe machen. Aber das soll sie doch auch, irgendwer muss doch für meine schlechte Behandlung büßen. Aber warum ausgerechnet sie, sie ist doch Fotografin und kann gar nichts dafür, dass sie als Kellnerin arbeiten muss. Aber eigentlich doch.

Ich sage nichts und gebe ihr sogar ein Trinkgeld. Soll sie die blöden Yuppies, die morgen früh meinen Waldbeerenshake trinken kommen, doch genauso zerstreut bedienen. Sollen die für meine schlechte Behandlung büßen. Wir Ossis müssen zusammenhalten.

JOCHEN SCHMIDT

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