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berliner szenenPraunheims Neuester

Gliederös

Rosa von Praunheim dreht einen neuen Fernseh-Dokumentarfilm. Er heißt „Vier Tunten für ein Hallelujah“. Gezeigt wird die Geschichte von vier Homosexuellen, die sich Mitte der Achtzigerjahre in Westberlin trafen: Ischgula Androgyn, Bev StroganoV, Tima die Göttliche und Ovo Maltine. Zeitweise wohnten die vier als Wohngemeinschaft auf einem Hausboot zusammen. Gemeinsam entwickelten sie Revuen für das Nachtleben der Stadt. Der Leere des Daseins traten sie indes nicht nur als Showtunten entgegen, sondern auch als politische Aktivisten. Man organisierte Boykotte gegen Philip Morris, kandidierte für die Bundestagswahl, importierte Stöckelschuhe in Übergrößen, erfand den schwul-lesbischen Filmpreis, gründete die erste HIV-Pflegestation. Immer noch sind alle vier in der Aids-Aufklärung engagiert, in der Hurenbewegung, im Kampf gegen rechts. Kurzum: Tunte zu sein bedeutet Ischgula und den anderen eine größere Aufgabe als nur Frauenkleider zu tragen und Schmuck zu sammeln. Vielmehr seien ihre Leben „so bunt wie ein Paillettenkleid, das durch den roten Faden des Tuntendaseins zusammengehalten wird“, wie das Rosa von Praunheim findet.

„Vier Tunten für ein Hallelujah“ steckt noch im Produktionsprozess. Da authentische Showszenen fehlten, wurden am Sonntagabend diverse Lieder der vier Protagonisten in der „Kleinen Nachtrevue“ nachgedreht. Die Nachtrevue ist eine sehr lindgrün gepolsterte Bar, die sich neben dem Lieferanteneingang des Hotels „Sylter Hof“ befindet. Norwegische, dänische, schwedische und finnische Fahnen oberhalb der Tür weisen die Internationalität des Schöneberger Lokals aus.

In der Filmbranche müssen sich die Regisseure juristisch absichern. Nur wer am Eingang der Nachtrevue ein Formular unterzeichnete, mit dem die Rechte am eigenen Gesicht an die Produktionsfirma übergingen, durfte als Publikum eintreten. Viele hübsche Jungs waren allerdings nicht zuletzt wegen dieser bescheidenen Aussicht auf Prominenz gekommen. Eine Blondine aus New York hatte einen kleinen Handventilator mitgebracht, den sie vor der Bühne sitzend wie in einer Ruf-mich- an-Werbeunterbrechung immer wieder schwer atmend vor ihren Brüsten kreisen ließ. Die Grenzen zwischen korrektem Selbstbewusstsein und bloßer Selbstüberschätzung lösen sich ja bisweilen gerade im Nachtleben angenehm auf. Und so verlief der ganze Abend heiter und auch ein bisschen schmutzig. „Hier ist ein Glied für dich, zärtlich und geradeaus“, sang Bev StroganoV. Später kam noch das Lied von der „Saunamasseuse.“ Die Gäste wollten Zugaben.

„Vier Tunten für ein Hallelujah“ wird ein sehr schöner Film werden. Manche Bilder laufen einem noch viele Stunden später im Kopf vorbei und wissen nicht wohin mit sich: Zwischen den einzelnen Gesangsnummern war Ischgula Androgyn häufig nur in Strumpfhosen bekleidet hinter der Garderobentür gesessen und hatte geraucht. Ihre Gedanken schienen irgendwo ganz woanders verloren gegangen zu sein.

KIRSTEN KÜPPERS

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