berliner szenen: Galerienumzüge
Absprung now
Mitte ist endgültig over. Erst gingen die Clubs, nun gehen sogar die Galeristen. Max Hetzler benutzt nicht einmal mehr das „Mitte“-Wörtchen, sondern redet von „Spandauer Vorstadt“, wenn er den Schauplatz für das Neunzigerjahre-Kunstgerangel meint. Auch für Mehdi Chouakri ist der Umzug von der Gipsstraße in die S-Bahn-Bögen an der Jannowitzbrücke der längst notwendige Schritt heraus aus dem „Scheunenviertel“. Und Waling Boers vom BüroFriedrich hatte ohnehin nur temporär in Mitte Station gemacht, bis er jetzt den Ort in Berlin fand, an dem das „kulturelle Setting interessant ist“.
Dabei war der Absprung gut vorbereitet. Über ein halbes Jahr waren Hetzler und Chouakri auf der Suche nach besseren Locations. Damals kam das Angebot von der Bauwert-Gesellschaft: Lagerräume, direkt an der Spree gelegen, ohne Telefon, spärlich Wasser und Strom, kaum Verkehrsanbindung. Doch das Umfeld stimmte. Am gegenüber liegenden Ufer hat die Bewag ihr Kraftwerk mit internationaler Kunst am Bau aufgerüstet; der Alexanderplatz liegt in zehn Minuten Fußwegnähe; und selbst die Karl-Marx-Allee wird irgendwann Flaniermeile werden. Im März wurde man vertragseinig, einen Monat später waren die S-Bahn-Bögen schon Bestandteil der Berlin Biennale, an deren Organisation wiederum Boers beteiligt war. Für einen Probelauf war also gesorgt – über 50.000 Besucher kamen.
Inzwischen sieht es an der Jannowitzbrücke nach Pariser Galerienschick aus. Die Hallen sind dezent beleuchtet, das Mauerwerk ist sauber verputzt, das Mobiliar bei cbb. chouakri brahms berlin wurde auf den neuesten Stand der Dienstleistung gebracht – ein Bürotraum in funktionalem Grau. Hetzler wird am neuen Ort Filme und Skulpturen zeigen, für die seine Homebase an der Zimmerstraße zu klein ist. Darin spiegelt sich auch die Karriere der von ihm präsentierten Künstler wider, „deren Ansprüche mit dem Erfolg eben wachsen“. Bei cbb.chouakri brahms berlin wird Monica Bonvicini zur Eröffnung eine Skulptur aus Metallzäunen und zerbrochenen Glasscheiben zeigen – als Kommentar zu „Ausgrenzung und Materialisierung von Macht und Kontrolle“.
HARALD FRICKE
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