berliner szenen: Ein 70. Geburtstag
Leichte, flinke Zunge
Das Café Gorki Park am Weinbergsweg feiert den siebzigsten Geburtstag seines großen Bruders: Dem Gorki Park in Moskau. Die Gratulanten sind viele. Sie sitzen und stehen vor dem hochdekorierten Cafe, eine große Plaudertraube in sanfter Bewegung. Es ist November, aber es ist nicht kalt. Die Übergangsmäntel sind entweder kirschrot oder grün und samtig oder aus psychedelischem Tweedersatz. Man steigt über Bierbänke, die wie in einer willkürlichen Mikadoformation aus dem zweiten Stock gefallen sind. Jemand erzählt, dass vor einer halben Stunde eine Frau mit verbundenen Augen barfuß über frische Scherben gelaufen sei und löffelweise Kaviar an Männer verteilt habe. Nur an Männer? Nur an Männer, wird bestätigt. Woher wusste sie das, ohne etwas zu sehen? Sie wusste es eben.
Drinnen kippen Kellner aus steilen Flaschen Wodka in einen Samowar, zur freien Verfügung, noch bis Mitternacht. Exfreunde tauchen auf und tauchen wieder ab. Haarspangen glitzern. Die Zunge wird leicht, dann schwer, dann leichter denn je. Menschen tragen Bänke von hier nach dort. Der Chef geht gemessenen Schritts die Konturen der Abendgesellschaft ab. Freundinnen bringen neuen Wodka, der in den unterschiedlichsten Gläsern schwappt. So wiederholt sich die Gratulationscour, die rituell zum Tresen führt und wieder nach draußen in eine zarte Herbstnacht mit kleinen gelben Spitzen. „Seid ihr die Schweizer Familie?“ fragt eine sehr rothaarige Frau. Wir sind es nicht, aber es gibt eine. „Das war Rebekka Horn“ sagt jemand. Rumänische Sprichworte, Gelächter auf englisch, Gelächter auf russisch. Die letzte Straßenbahn müht sich den Berg herauf, die letzte den Berg hinab. Der nächste Tag soll stürmisch sein. MONIKA RINCK
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