berliner szenen: „Ich bin kein Amerikaner“
Berliner aus Gips
Eigentlich mag Jürgen Zimmermann ja Amerikaner. Diese mehligen, ufoförmigen, oft riesigen Gebäckstücke mit Schoko- oder Zuckerglasur auf der Rückseite, etwas einfältig im Geschmack, aber billig und sehr beliebt bei Kindern. Doch in den vergangenen Wochen gab es Amerikaner in Karlsruhe nur noch selten zu kaufen. Ein Resultat des Zeitgeschehens, findet Jürgen Zimmermann. Als einmal Laszlo, der kleine Sohn seines Nachbarn, beim Frühstück immer nach Berlinern verlangte, entdeckte derBildhauer seine Liebe auch zu diesem Gebäck und wendete sich ab von den Amerikanern. Er begann, sich die Pfannkuchen selber zu machen. Seitdem produziert er sie in allen Größen, in Gips, Bronze, Eisen, Aluminium, Styropor; als Plastik, Sitzmöbel oder einfach als Fotografie. Über seinen Geschmack an den Berlinern hat er die Amerikaner fast vergessen. Nur als die Politiker meinten, dass wir alle Amerikaner seien, und Schlagworte wie „bedingungslose Solidarität“ fielen, sind sie ihm wieder eingefallen, die Amerikaner. Als dann in Berlin, im Künstlerhaus am Acker in der Ackerstraße, eine Ausstellung anstand, entschied er sich deshalb für den Titel: „Ich bin kein Amerikaner“, und meinte damit vor allem sich selbst. Denn auf der Vernissage sollte es trotzdem wenigstens das Gebäck Amerikaner geben, als Appetitanreger für die Kunstberliner. Aber dann konnte man nur einen einzigen auftreiben, einen mit Zuckerglasur. Also mussten palettenweise Pfannkuchen mit Pflaumenmusfüllung als Ersatz dienen. Der vereinzelte Amerikaner bekam jedoch seinen Ehrenplatz an der Galeriewand und konnte dort symbolisch verkünden, sozusagen als Gleichnis der Geschichte, dass er auch ein Berliner sei.
HENNING KRAUDZUHN
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