berliner szenen: Wir in Charlottenburg
Vertrauenssache Einkauf
Berlin sei ein Dorf, heißt es bisweilen. Je seltener der eigene Bezirk verlassen wird, desto schlimmer wird es. Dafür umgekehrt: Jede Überschreitung der Grenzen wird zum Ausflug. Für diesen statte ich mich mit einer Wasserflasche aus und einem Stadtplanausschnitt: „Savignyplatz“.
Einmal am Zielort angekommen, flaniere ich durch die Straßen, der Wind treibt die Wolken fort, und Berlin ist ganz Großstadt. In der Luft liegt ein Hauch Dezenz. Auch die Charlottenburgerin ist eher distinguiert. Ich bin von zu Hause ja eher Coolness gewöhnt, tief sitzende Hosen, lockere Colts und so eine Spannung zwischen dem Innen und dem Außen. Die Contenance der Charlottenburgerin hingegen durchdringt diese ganz. Nie wird ihr ihre Persona entgleiten, so denke ich mir, als es mich in ein Lingeriegeschäft treibt.
Schnell nesteln die Besitzerin und ich am charmantesten Modell des Geschäfts, einem roten Seidencomplet. Das Hemd könne man ja wohl auch so tragen, also draußen, mutmaße ich. Darauf sie: „Ich weiß ja nicht, ob Sie einen BH tragen“, und ich antworte: „Nein“.
„Ich ja nicht“, sagt sie, fasst sich mit beiden Händen kräftig an den Busen und lehnt sich vertraulich vor. „Obwohl ich über sechzig bin, aber“, sie beginnt zu massieren, „langsam merke ich die Hormonumstellung, das schmerzt dann.“ „So?“, sage ich. „Na ja“, meint sie, zwinkert mir zu und hebt ihren Busen abschließend noch einmal an, „mal sehen, wie lange wir das noch machen können.“ Genau. „Wir.“ Was sind schon zweiunddreißig Jahre Altersdifferenz. Dabei, so denke ich später in der S-Bahn, Wechseljahre mit über sechzig, nicht schlecht. Wie das kommt, wird noch herauszufinden sein. Strukturelle Dezenz jedenfalls ist es nicht. KATRIN KRUSE
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