: berliner szenen Kinder unserer Zeit
Generation Wut
In der Sonne bringt Zeitunglesen Spaß. Gern liest man auch repräsentativ vertrottelten Unsinn. Im Tagesspiegel gab es eine Beilage zum Thema „Wie wollt ihr leben“, in der es darum ging, wie die Jugend so ist und auch wie sie mal war vor zehn Jahren. Interessante Erkenntnisse wurden da vermittelt. Zum Beispiel: „In den 90er Jahren hatte die Jugend sich die Wut abtrainiert – dieses Gefühl galt als uncool. Erlebt die Wut gerade ihr großes Comeback?“
Weil „die Jugend“ doch gegen „den Krieg“ auf die Straße gegangen ist! Und wer auf die Straße geht, wird von der Wut getrieben, nicht von der Vernunft, der Lust, dem analytischen Denken und so weiter. Toll. Dieser Unsinn, den die Leute so schreiben. Man mag da kaum noch drauf hinweisen, dass „Comeback der Wut“ eine werbesprachschwachsinnige Metapher ist und dass es ohnehin immer nervt, wenn 27-jährige Streber über sich und ihre Bekannten schreiben und meinen, das sei generationsrepräsentativ. Da kann man sich auch immer wieder darüber aufregen, wenn unter einem Artikel steht, dass der Autor gerade ein Buch „über das Scheitern seiner Generation“ schreiben würde, so als hätte es unter den deutschen Gymnasiasten von 1990 ein spezifisches Projekt gegeben. Ach was?
DETLEF KUHLBRODT