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Archiv-Artikel

berliner szenen Der Geiger spricht

„Ich war Europameister“

Um diese Zeit ist die Kneipe nicht mal halbvoll. Keine Musik, dafür ist die Luft noch klar, am Tresen schweigen sie. Einer setzt sich zu mir und hängt sein Gesicht in den Lichtkegel der funzligen Lampe. Die groben Poren schimmern lila und ich frage mich, wie man diese Färbung hinbekommt. Als er den Mund aufmacht und mich eine üble Fahne anweht, weiß ich es. „Ihr beiden seid nett. Ihr habt nichts gegen mich“, stellt er fest, und ich überlege, ob ich ihm widersprechen soll. Ich lasse es, schließlich habe ich wirklich nichts gegen ihn. „Habt ihr eine Ziggi?“ Er sagt Ziggi, ich schüttle den Kopf, ich habe aufgehört zu rauchen. Sie gibt ihm eine, Gauloises rot, natürlich. Er schürzt die Lippen, der graumelierte Schnurrbart kräuselt sich um den Filter und langsam betätigt er das Feuerzeug, immer mit einem Schwung, als wollte er den Motor für eine Kettensäge anwerfen.

Langsam zieht er ein, der Rauch spiegelt sich im Kassengestell. „Als ich fünfzehn war, da war ich Europameister im Geigen.“ Ich wusste nicht, dass es Meisterschaften in dieser Disziplin gibt; wahrscheinlich gibt es sie auch gar nicht. Es ist mir egal. „Ich war saugut, hab besser gespielt als die anderen. Ich war Europameister.“ Ich frage ihn, was passiert ist. „Ich hab dann aufhörn müssen, weil die sich gegen mich verschworen hatten. Ich war besser. Europameister. Bester von Europa.“ Ich bemerke, dass das Gespräch mich nicht weiter bringt. Die Zigarette in seiner Hand zittert, er stößt mit der Aschespitze in die Bierlache auf dem Tisch. Es zischt leise und die Glut verlischt. Trotzdem zieht er weiter daran, ohne etwas zu bemerken. „Ich war Europameister im Geigen.“ Er sieht glücklich aus, mit seinem lilafarbenen Gesicht und der Kippe in der Hand. Ich glaube ihm. HANNES BAJOHR