berliner blase: „Treten Sie zurück!!!“
Die Parlamentskolumne
von Anja Maier
Es fällt auf, wie die geäußerte Meinung nach Geschlechtern verteilt ist. Schaut man sich in den sozialen Medien die Kommunikation zwischen WählerInnen und Gewählten an, drängt sich der Eindruck auf, dass vorzugsweise Männer über reichlich Tagesfreizeit verfügen. Die nutzen sie dann zum Jaulen und Geifern.
Zum Beispiel, wenn Angela Merkel via Facebook ihr Beileid für die Opfer des Messerstechers von Hamburg ausspricht. „Treten Sie zurück!!!“, antwortet es aus den Tiefen deutscher Wohnzimmer. Es hagelt Ausrufezeichen und köchelnde Emojis. „Heuchlerin, ab vor Gericht und richtig verurteilen, Volksverrat, Mord, Terror am deutschen Volk!“
Eine, die es jetzt auch mal dicke hat, ist Andrea Nahles. Die Arbeitsministerin hat zurückgeblökt. „Mal etwas Grundsätzliches“, eröffnete sie die Suada auf ihrer Facebook-Seite. Sie sei ja Kritik gewöhnt, Menschliches sei ihr nicht fremd. Aber. „Der Ton macht die Musik.“
Sie müsse sich „nicht absprechen lassen“, dass sie hart arbeite. „Ich stelle mich jeder Kritik, aber nicht jeder Art und Weise von Kritik.“ Respekt sei eine zweiseitige Angelegenheit. So weit, so deutlich. Dann wird es konkret.
„Es ist beispielsweise klar“, schreibt Nahles, „dass ellenlange Kommentare zu speziellen Einzelproblemen hier unmöglich für den Einzelnen zufriedenstellend beantwortet werden können. Themen, die meine Tätigkeit als Ministerin betreffen, sollten bitte auch ins BMAS gesendet werden, Probleme, die mich als Abgeordnete betreffen, an mein Bundestags- oder Wahlkreisbüro. Kontaktdaten finden sich auf meinen entsprechenden Internetseiten.“ So, aus die Maus. Geht heulen!
Oh oh, dachte man beim Lesen. Das gibt Ärger. Die Emoji-Jungs mit der Ausrufezeichen-Diarrhoe werden ihr was husten. Von wegen Diäten und Hartz IV und so. War dann aber gar nicht so. Ja, die Hater kotzten ein bisschen in Nahles’ Account. Aber meist meldeten sich Frauen zu Wort. Es hagelte Herzchen, Umarmungen und Kanzlerinnen-Avancen. Unglaublich.
Klare Ansagen zu eindeutigen Gefühlslagen sind dieser Tage so ungewöhnlich wie wohltuend. Dafür muss man weiß Gott nicht gleich Kanzlerin werden. Aber es wäre eigentlich schön, wenn PolitikerInnen öfter mal mitteilen würden, wie es ihnen so ums Herz ist. Nahles’ Parteichef hat diese Chance schon wieder verpasst. „Die Zukunft braucht neue Ideen“, steht auf seinem am Dienstag präsentierten Wahlplakat. Welche Ideen? Egal. Eine Steilvorlage für die Hater.
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