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berlin tut weh

von NILS FOLCKERS

Von der Forschung getrieben, suchte ich in Berlin nach einigen Büchern des Dichters Peter Hacks und sprach in einem Antiquariat im östlichen Boom-Bezirk Prenzlauer Berg vor. Der Verkäufer erklärte erfreut: „Mit Büchern von Peter Hacks hatte ich gerade ein ganzes Schaufenster dekoriert“, dann verdüsterte sich sein Blick, „war aber keine gute Idee, sind ’ne Menge dabei, äh, verloren gegangen.“ Als ich mitleidig nachfragte: „Sie meinen – verkauft?“, seufzte er gequält: „Ja!“ Angespornt zitierte ich ein Hacks-Gedicht: „Der Menschen Volk, vom Kapital regiert, / Ist wie ein Diamant mit Kot beschmiert“. Wir lachten, und der Antiquar meinte: „ Hacks – das ist so was wie ein Held.“

Heldenhaft wollte ich die Tücken der Großstadt aufspüren und setzte mich nahe der Polizeiwache in eine Kneipe. Ein besonderes Lokal, wie ich bald bemerkte. Immerhin gab es eine Toilette, doch brannte darin kein Licht, und das Pissoir war mit einer Plastikplane abgedeckt. Die anderen Gäste erweckten alle den Eindruck, als warteten sie, wären aber gleichzeitig in Eile. Hinter dem Tresen stand eine junge gebräunte Dame auf die Zapfhähne gestützt und gewährte einem am Tresen lehnenden Herrn Einblick in ihr Dekolleté. Nach einiger Zeit rief die Bedienung herüber, was gewünscht würde. Ich fragte, was für Bier am Zapfhahn sei, worauf das Paar prustend erwiderte, sie hätten derzeit kein Bier vom Fass und: „Nein, wir haben nicht gerade erst eröffnet.“ Ich war in einer Flüsterkneipe gelandet.

Nach einem weiteren Blick auf die Gäste fasste ich all meinen Mut zusammen und fragte an der Theke, ob ich hier denn etwas zu rauchen kaufen könne. „Setz dich hin, sei ruhig und warte darauf, dass du gefragt wirst.“ Ich setzte mich hin, war still und wartete. Nach einem weiteren Toilettengang bekam ich endlich ein Beutelchen, mit dessen Inhalt ich mich zu einer Hinterhofparty begab.

Es war gerade Mitternacht und ich drehte mir eine Tüte zusammen, als plötzlich Polizisten vor mir standen. Diese verlangte es aber nur nach weniger Krach, väterlich drohten sie mit Pupillenkontrolle, wenn sie noch mal auftauchen müssten. Eine halbe Stunde später waren sie wieder da. Ob vom Inhalt des Beutelchens oder meiner inzwischen 24-stündigen Großstadterfahrung mutig geworden, stellte ich den Beamten die heroische Frage, was das denn für ein beschissenes Land sei, in dem man noch nicht mal an einem Scheiß-Samstag im Scheiß-August eine Scheiß-Hofparty machen könne. Mein Heldenmut besänftigte die Wachtmeister erstaunlich schnell, und so schlugen sie vor, einfach die Straßenseite zu wechseln und dort weiterzufeiern. Sie müssten dann erst nach einer weiteren Beschwerde wieder einschreiten. Von dieser Logik und meiner geschwollenen Brust geblendet, gingen wir auf die andere Seite, und gerade als ich auf den Bürgersteig stieg, verknickte ich mir meinen Fuß. Der sofort anschwoll und sehr weh tat, aber das war mir Asphalthelden längst egal. Ich dachte nur an einen Vers von Peter Hacks: „Prenzlauer Berg, bestaunter Ort der Wunder, / Schlecht für Vernunft, doch gut für jeden Plunder“.

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