■ berlin spinnt: Goldknöpfe und andere Eigenarten
Kürzlich mußte die Gattin eines Hamburger Verlagsdirektors in der Hauptstadt ihren Pflichten nachkommen. Ihr Mann hatte dort einen schönen neuen Posten erhalten. Den auch wirklich zu erfüllen, bedeutet, eine vorzeigbare Frau zu haben – mit entsprechender Garderobe. Die braucht frau für Empfänge. Nun hatte Frau Verlagsdirektor in ihrer alten Heimat nie Probleme, sich für entsprechende Gelegenheiten aufzubrezeln, wie man in Norddeutschland so sagt. Feine Tücher, eine an Verweigerung grenzende Dezenz, was den Schnitt anbetrifft. In Berlin kam sie denn deprimiert von einer Vernissage zurück. Man sprach nicht mit ihr, und wenn, dann nur das Nötigste: „Hat Ihr Chef Sie heute mal mitgenommen?“ Sie fühlte sich underdressed. „Ich hatte ja keine Ahnung, daß hier Jil Sander-Klamotten wie bei Bilka gekauft wirken.“ Was ihr fehlte, hätte ihr jeder Hauptstadtchicberater – wie Wolfgang Joop beispielsweise – erzählen können: „Goldknöppe, Kind, Goldknöppe.“ In der Metropole ist Dezenz Schwäche. Viel hilft viel. Dick aufgetragen, uffjeschnalzt sozusagen – das kommt zwischen Ku'damm und Alex gerade richtig.
Das sind Sorgen, die man beim Queering-Kongreß der Heinrich- Böll-Stiftung nicht nur nicht kannte, sondern auch brüsk als unwichtig zurückgewiesen hätte. Lisa Duggan, Professorin für lesbisch- schwule Studien in New York, sollte ihren Berliner Anhängern erzählen, wie man die fiese Idee, Homosexuelle sollten gleiche Rechte erhalten, disqualifiziert: Das sei nur Minderheitenpolitik, besser ist die Zuständigkeit fürs Ganze. Eine schöne Konferenz, unterm Dach der Hackeschen Höfe. Viele junge Frauen – darf man überhaupt noch „Lesben“ sagen? – kamen im Garconstil, aus jungenhaften Augen sich der vornehmen Aufgaben des Groupiedaseins widmend. Lisa Duggan, smart in ihrem sozusagen programmatisch geschlechtsbezeichnungsneutralen Businessoutfit, wurde sozusagen jeder theoretische Wunsch von den Augen abgelesen. Man war sich einig: Queer ist irgendwie anders.
Und zerstreute sich hinterher in die Sub. Da waren die Geschlechter wieder unter sich, was nur kurz irritierte. Mehr schon, daß es vorgestern abend rund um die Schaubühne am Lehniner Platz aussah wie ein vergessenes Nervensanatorium. Das Theaterrestaurant – leer. Die Generalprobe für Szenen einer Ehe (Regie: Dieter Giesing) war gerade vorbei, da regnete es immer noch. Der Überraschungserfolg in Zürich und Wien wird den Westberlinern gefallen: Viel Endzeitstimmung in diesem Haus, das, was das Unterhaltungs- und Nachtleben angeht, verdächtig nah am Grunewald liegt.
Wieder zurück nach Mitte. Zwischen Synagoge und Volxbühne hält man offenkundig nichts von verriegelten Seelenzuständen. Noch kurz vor Mitternacht, am Wochenende sowieso, hat man Schwierigkeiten, ein Plätzchen zu bekommen. Manchmal hat man doch Glück. Im Orén, ein Muß vor allem für Touristen, ißt man teuer und gut, wirklich sehr gut. Aber man sollte sich nicht über die Rechnung beschweren, wie es Frau Verlagsdirektor, jetzt im hauptstadtfähigen Escadakostüm, kürzlich tat. Ein selbstbewußter Kellner beschied sie mit den passenden Worten: „Jüdische Essen, jüdische Preise“. Trauerarbeit kostet eben Geld. Jan Feddersen
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