■ berlin spinnt: Die Kultur ist schon unten
Betriebliche Weihnachtsfeiern verschleiern die wahren Machtverhältnisse, heißt es. Ich finde, daß Weihnachtsfeiern eine schöne Einrichtung sind und denke dabei oft an den Film „Spur der Steine“ von Frank Beyer, in dem sich die Bauarbeiter mit einer Schnapsflasche beschenken und, weil sie nicht wissen, wie sie einander ihrer Sympathie versichern können, immer „Kleine Aufmerksamkeit für dich“ dabei sagen. Das Tolle daran ist, daß es sich immer um die gleiche Schnapsflasche handelt, die der jeweils Beschenkte dann weiterschenkt. Bei Weihnachtsfeiern wird jedenfalls gern getrunken, und Betriebe, die keine Weihnachtsfeier veranstalten, handeln unmenschlich! Weihnachtsfeiern sorgen in einer versingleten Welt für mehr Freude. Nicht der geringste der Vorteile, den eine feste Anstellung mit sich bringt, ist die Teilnahmeberechtigung an der Weihnachtsfeier.
Bei ihrer Weihnachtsfeier sei sie so aufgedreht und betrunken gewesen, daß sie die ganze nächste Nacht nicht hatte schlafen können, erzählte Claudia Wahjudi vom zitty. Dann wollte sie sich gleich einen neuen Computer kaufen gehen.
„Achim hat sich geweigert, die Nüsse mit dem Nußknacker aufzumachen. Er nahm statt dessen den Hammer, weil er so gut damit umgehen kann“, erzählte Kollege Elmer von der Weihnachtsfeier der kreuzberger Oktoberdruck-Druckerei. Manche Leute hätten sich gewundert, daß manche Leute, die man sonst immer nur beim Bier gesehen hätte, auch kiffen. Vielleicht werden die sympathischeren Reste der linksalternativen Szene immer noch über das Kiffen zusammengehalten, selbst wenn nur der kleinere Teil kiffen sollte. Leute, die nun beim Spiegel oder ähnlichen Organen sind und immer noch Haschisch rauchen, tun das wahrscheinlich, um sich ihrer „Identität“ zu versichern, so ähnlich wie Ostler, die nach Westdeutschland gezogen sind und allein in ihrem Zimmer manchmal Renft- oder Puhdys-Platten hören.
Die Weihnachtsfeier der Identitätsbewegung, der ich mich frei assoziiert fühle, der taz also, fand auf der „Sannssouci“ statt, einem zweistöckigen Vergnügungsveranstaltungsschiff, das am Kreuzberger Gröbenufer, direkt neben der Oberbaumbrücke, geankert hat. Das Archiv suchte nach Blättchen, und Andi Bull, der Geschäftsführer der taz, trat irgendwann ans Mikrofon und sagte – wie ein BVG- Abfertiger, der sich um Aufmerksamkeit für den ganzen Zug bemüht – das obere Deck sei schon zu voll. Deshalb solle man doch auch einmal ins untere Deck gehen. „Die Kultur ist schon unten.“
Das ist das Schöne am Feuilleton: Wenn man in einer Zeitung in der Kultur arbeitet, ist man gleichzeitig selber die Kultur. Beim Sport ist es anders. Von den dort Kompetenten spricht man als den „Sportlern“.
Es wäre auch schön, in der Zentrale zu arbeiten. Dann fiel mir ein, daß ich als freier Mitarbeiter ja in jedem Fall nicht in der, sondern für die Kultur arbeite. Kollegin Melanie sagte, daß der typische tazler sein meist gesellschaftswissenschaftliches Studium abgebrochen hätte. Weil das für uns beide galt, fanden wir es sympathisch. Unten gab es „geschmacklose Musik“, die völlig okay war und daran erinnerte, daß die taz von der Generation gemacht wird, die mit Iggy Pop, den Specials und den Lolitas großgeworden ist. Françoise Cactus, die als Popstar (Stereo Total) bekannter ist, als als taz-Layouterin, sang „nun ein Lied für die sexy tazler“. Es war, glaube ich, „Movie Star“. Eigentlich ist Françoise das Aushängeschild der taz. „Sie ist so würdevoll“, sagte Kollegin Wenner, die bei einer Betriebslotterie (beliebtes Beiwerk bei derlei Veranstaltungen) disqualifiziert wurde, weil sie auf das falsche Tagesthema getippt hatte. Chefredakteur Rediske dagegen gewann eine Flasche Wein. Gespielte Tumulte waren die Folge, und plötzlich findet man es schön, älter zu werden, weil einem in der Zeit, die vergeht, die Kollegen, die man nur vom Sehen im Treppenhaus kennt, immer vertrauter werden. Dann denkt man verstohlen, daß das vermutlich die nettesten Kollegen von der Welt sind. Dann bekommt man eine anerkennende Flasche Sekt. Das ist vermutlich auch der Sinn von Weihnachtsfeiern. Detlef Kuhlbrodt
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