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■ berlin spinntDie Ästhetik der Musterung Von Andreas Spannbauer

An meine erste Musterung in Berlin erinnere ich mich noch genau: Ein paar uniformierte Zufallsbekanntschaften steckten mich gegen sechs Uhr morgens in einen Gefangenentransporter der Polizei und „verbrachten“ mich in den Bezirk Treptow. Bis zu diesem grauen Dezembertag hatte ich es stets verstanden, unter fadenscheinigen Entschuldigungen (exotische Krankheiten, Nichtauffinden des Kreiswehrersatzamtes) die Finger von der Tür des Kreiswehrersatzamtes in der Oberspreestraße 61 h zu lassen.

Erbarmungslos führte die behandelnde Bundeswehrärztin an diesem Morgen anspruchsvolle Versuche an meinem Körper durch: Zehn Kniebeugen waren Minimum. Man mußte verschiedene Farben voneinander unterscheiden und sogar eine Zahl laut vorlesen. Selbst für Körperflüssigkeiten interessierten sich die Mediziner. Man konnte nicht umhin, diese Prozedur als im allgemeinen doch recht unappetitlich zu bezeichnen.

Heute haben es die jungen Leute, die dem Staat ihre sterbliche Hülle zur Untersuchung darbieten müssen, viel schöner. Nicht nur, daß es jetzt in dem NVA-Bau einen giftgrünen Teppichboden gibt, auf den die Anstaltsleitung erkennbar stolz ist. Seit Freitag können die „jungen wehrpflichtigen Bürger“, die vorbeikommen, nicht nur den Leib, sondern auch die Seele baumeln lassen. Zehn Bedienstete der Behörde stellen in den neonbeleuchteten Fluren, zwischen den Abteilungen „Ausschuß für KdV“ („Herr Messerschmidt“) und „Bekleidung und Ausrüstung“, ihre höchsteigenen Kreationen aus den Bereichen Fotografie und Wachs- und Seidenmalerei aus.

„Es ist mir ein großes Bedürfnis, daß sich die Bundeswehr im Umfeld der Kultur wohlfühlt und nicht nur mit Waffen und Krieg in Verbindung gebracht wird“, erklärt der Regierungsdirektor und Ausstellungsmacher Elmar Gräber den Beitrag zum Zuschütten der Schützengräben zwischen Truppe und Zivilisten. Und weil die Qualifikation der eigenen Mitarbeiter beim KWEA groß geschrieben wird, „haben die Leute mittlerweile sehen gelernt“.

Allerdings sieht man in der Ausstellung den Wald vor lauter Bäumen nicht: Wald in Polen, Wald in Finnland, Wald in Schweden! Stark vertreten ist auch das Motiv „Sonne“ bzw. „Mitternachtssonne“, das noch vor „Parkplatzschild in Finnland“, „Alpenveilchen“ und „abendliche Campingplatzidylle“ rangiert.

Hübsch und zum Ambiente passend auch die Bilderserie „Polen“, Teil I bis VII. Den Bismarckturm in Aumühle bei Hamburg hat jemand im Herbstlaub fotografiert, genau von der Sorte, die sich Schütze Arsch immer an den Helm steckt – ein Steck- pardon: Schnappschuß! Und erst die „Eindrücke von Menorca“: Zwischen Zahlstelle und psychologischer Untersuchung bleibt künftig kein potentielles Scharfschützenauge mehr trocken.

Das große Manko: Sieht man von den Fotos vom Tag der offenen Tür – Motiv: Soldat mit Rußgesicht spricht mit zwei Blondinen – ab, sind auf den Stücken kaum Menschen zu sehen. Man kommt sich vor wie nach dem dem Krieg. Der „Wegweiser durch die Bundeswehr“, der an der Rezeption erhältlich ist, bietet demgegenüber wesentlich mehr. „Luchs“ und „Leopard“ zeigen Technik, die begeistern soll. „Fernspäher zeichnen sich durch hohe körperliche Fitness aus“, und „Fallschirmjäger üben den Waldkampf.“ Mensch und Maschine werden eins, wenn der „Waffenträger Wiesel“ im Sonnenuntergang zu sehen ist. Und das alles in Hochglanz!

Und überhaupt: Der ästhetische Trend der Bundeswehr geht seit einigen Monaten ohnehin zur Aktionskunst, die gerade in den ersten Tagen des internationalen Kongresses der Kulturschaffenden in Prizren neue Treffer erzielt hat. Trotzdem handelt es sich bei den Exponaten um „50 Arbeiten von Laien, die sich sehen lassen können“ (Gräber). Soldaten sind Maler.

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