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berlin buch boomJudith Freges herbstlicher Ballettroman „Ist denn nicht zufällig Sonntag?“

Die Stille vor dem Applaus

Judith Freges Debütroman „Ist denn nicht zufällig Sonntag?“ beginnt im warmen Bett der Hauptfigur. Dort hält sich die aus London stammende junge Tänzerin Zoe Marshall nämlich morgens vor dem Training gern mal ein wenig länger zum Träumen auf: „Zum Teufel mit Schwanensee.“

Ein Schwan unter Schwänen, das übliche Exercise an der Stange für den Platz in der zweiten Reihe? Es scheint ein Trainingstag wie schon so viele zu werden. Aufwärmen vor dem Spiegel, Plié, Tendu, Frappé, Adagio und noch mal von vorne. Doch es kommt alles ganz anders. Zoes morgendlicher Zusammenprall in der Kantine mit dem neuen französischen Choreografen, Jean Gableau, inklusive Kaffeefleck auf dessen Hose, führen direkt hinein in die hektische Welt des Balletts: Von der Direktorenebene bis zum Pförtner und der Kostümbildnerin bekommt der Leser zunächst einmal einen Einblick in das Hauspersonal. Wir befinden uns im herbstlichen Westberlin des Wendejahres 1989. Das Opernhaus bereitet sich fieberhaft auf die Premiere von Gableaus neuem Stück „Sequenzen“ vor. Während sich draußen die politischen Ereignisse überschlagen, gibt es hausintern Neid, Intrigen, Lampenfieber und eine Liebe zwischen West und Ost. Die Bezüge zur aktuellen hauptstädtischen Operndebatte liefert der Roman zeitlich vorausschauend auch gleich mit: Mahnstein, dem großen und zur Verschwendung neigenden Intendanten des Hauses, wurde kürzlich vom Kultursenator ein jung-dynamischer Verwaltungsdirektor zum Sparen ins Haus geschickt: „Da ist schon manch einer gescheitert und musste resigniert unser Flagschiff Opernhaus verlassen“, gibt der Senator dem Verwaltungsmann noch mit auf den Weg. Ziemlich viel Dramatik also, die sich in sehr kurzer Zeit für alle Beteiligten aufbaut. Vor allem für Zoe.

Judith Frege – sie ist übrigens die Schwester des Punk-Sängers Campino – lebt in Berlin. Es sind Erfahrungen aus ihrer eigenen internationalen Tänzerkarriere, die der Beschreibung von Figuren und Situationen einen einfühlsamen Grundton geben. Alles selbst erlebt. Bis zum Abschluss ihrer Laufbahn an der Deutschen Oper Berlin hat die Pina-Bausch-Schülerin von John Neumeier bis Maurice Béjart mit den wichtigsten Choreografen unserer Zeit zusammengearbeitet.

Judith Frege weiß also, worüber sie schreibt, und sie hat dabei auch keine Bedenken. Man merkt es vor allem an den Stellen in ihrem Roman, wo Knochenarbeit und Glücksmomente nah beieinander liegen: „Vollkommen verausgabt lagen Marc und Zoe mit geschlossenen Augen auf dem Rücken und rangen nach Luft. Einen Moment lang war es totenstill im Saal.“

BERND RASCHE

Judith Frege: „Ist denn nicht zufällig Sonntag?“ Solibro Verlag, Münster 2002, 256 S., 8,90 €

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