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bascha mika über LeidenschaftDröhnen im Kopf, Schmieröl im Hirn

Der Bruderkrieg zwischen Schumi I und Schumi II war dringend nötig – für die Geschäfte der Schumacher GmbH

Leidenschaft wird erst so richtig schön, wenn sie mit Brutalität und Ignoranz gepaart ist.

Wenn man eine Umfrage starten würde, was das Land am meisten bewegt, worüber die Leute reden wollen, damit sie über nichts anderes reden müssen, was wäre wohl das Ergebnis? Angela Merkel und ihr jammernswerter Überlebenskampf in der CDU? Die schlappe Konjunktur? Der Pleitegeier bei den Krankenkassen? Alles falsch. Das Thema sind natürlich Brüder: feindliche Brüder, hinterhältige Brüder, rücksichtslose Brüder. Die Brüder Michael und Ralf Schumacher, diese Formel-1-Piloten, deren Verhältnis und Verhalten die existenzielle Frage nach der Stärke von Familienbanden ganz neu aufwirft.

Die Geschichte ist so simpel, dass sie jeder versteht, auch wenn er sich nicht für Motorsport interessiert. Da sind also die beiden Schumachers, Rennautofanatiker seit jüngsten Jahren, geplagt vom pubertären Schmierölsyndrom. Michael, der große Bruder, ist schon seit vielen Jahren sehr erfolgreicher Formel-1-Champion. Seit kurzem rückt auch Ralf, der kleine Bruder, auf. Am letzten Sonntag nun auf dem Nürburgring wollten beide gewinnen, gelungen ist es dem Älteren. Mit einem ziemlich fiesen, wenn auch regelkonformen Manöver, das den Jüngeren austrickste – wobei der fast gegen die Boxenmauer raste. Michael Schumacher: „Es war notwendig, ich fahre für Ferrari, er für BMW.“ Und willst du auch mein Bruder sein, ich schlag dir DOCH den Schädel ein.

Diese unbedingte, ja, nennen wir es ruhig Leidenschaft, die weder Vater noch Mutter und erst recht keinen Bruder zu kennen scheint, hat die Fan- und Sportgemeinde aufgeschreckt. Angeblich halten ja 71 Prozent der Deutschen die Formel 1 für das faszinierendste aller Sportereignisse. Der Verdacht liegt allerdings nahe, dass nur Männer befragt wurden. Was deren Fantasie so beflügelt, spielt allein dem Nürburgring 300 Millionen im Jahr ein. Und jetzt – der Erregungszustand erreicht orgiastische Ausmaße. Die Frankfurter Rundschau entdeckt „den Urtrieb, der Menschen zum Motorsport hinzieht“. Und der wird nun aufs Schönste ergänzt durch den Urkonflikt, den archaischen Kampf unter Brüdern. Kain und Abel! Josef und seine Brüder! Christoph und Thomas Gottschalk!

Es wurde auch Zeit. Schumi I, der Alte, war ausgereizt. Zehn Jahre wurde er systematisch aufgebaut und mit ihm die Formel 1 in Deutschland zum Massenspektakel aufgeblasen. Doch irgendwann war alles über ihn erzählt, der Markt gesättigt, die Geschichte brauchte einen neuen Dreh. Also wurde Schumi II, der Junge, zum ernst zu nehmenden Rivalen befördert. „Auf der Strecke lassen wir uns Platz zum Überleben“, kommentierte Schumacher I.

Das förderte die Verkäufe der Schumi-Fanartikel für beide erfreulich. Der Umsatz von Mützen, T-Shirts, Flaggen und was man so braucht steigerte sich um 70 Prozent. Aber auch da war eine Ermüdung vorauszusehen. Ein weiterer Dreh musste her. So drückte Michael eben am letzten Sonntag beim Zweikampf mit Ralf ein wenig mehr auf die Tube. Schon sah man den Bruder an die Mauer klatschen. Sehr gut. Bruderkrieg!

Wahrscheinlich hat nur Michael, der Dussel, etwas nicht so ganz verstanden. Er sollte ja nicht gleich versuchen, seinen kleinen Bruder umzubringen. Wo dessen Monatsgehalt doch gerade auf 2,2 Millionen gestiegen war. Ralf war sauer. Und mit ihm die halbe Nation. „Die Schwächeren in der Gesellschaft“, sagt der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter, „identifizieren sich wütend mit Ralf und erkennen darin ihre eigene Kränkung. Aber der Trend gibt doch eher Michael Recht, weil viele fasziniert sind von der Brutalität und Rücksichtslosigkeit, mit der er gewinnen will.“

Dabei macht es gar nichts, dass eigentlich noch nie jemand Michael Schumacher richtig leiden konnte. Wer siegt, muss nicht sympathisch sein. Wenn man es recht bedenkt, macht es eigentlich auch nichts, dass er seinen Bruder fast totgekriegt hat. Im Gegenteil. Schließlich interessiert sich doch niemand für die Formel 1, weil da ein paar Wagen wie bekloppt rumrasen. Jeder, der kuckt, hofft, dass ES endlich passiert. Dass wieder mal einer kaputtgeht. Nur mit dieser Mischung aus Lust und Grausen ist der Wahnsinn der 850-PS-Langeweile überhaupt zu ertragen.

Und wenn dann noch das Schicksal zuschlägt und ein Bruder den anderen ... Kain und Abel! Josef und seine Brüder! ... Die Chancen stehen nicht schlecht. Am Sonntag fahren die beiden im französischen Magny-Cours wieder gegeneinander. Ein Risiko besteht allerdings. Angeblich haben sich beide versöhnt.

Fragen zu Leidenschaft?kolumne@taz.de

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