bannmeile: In der Beletage der Parlamentarischen Gesellschaft
Das Maß der Zivilisation
Rechte Politiker – nein, richtige Politiker, die richtige Männer sind, haben, wie es sich für Gentlemen gehört, einen Club. Das lernten 1951 die Mitglieder des Deutschen Bundestags, als sie endlich wieder in ein zivilisiertes Land eingeladen wurden. Kaum aus Großbritannien zurückgekehrt, gründeten sie die Parlamentarische Gesellschaft. Hier durften und sollten oppositionelle und regierende Parteifreunde und -feinde frei miteinander sprechen, vertraulich versteht sich. Offenbar hat sich das bewährt: Mit dem Bundestag zog auch die Parlamentarische Gesellschaft nach Berlin, wo sie sich eine hübsche Immobilie gönnte. Es ist das 1903 errichtete, ehemalige Reichspräsidentenpalais, direkt gegenüber dem Reichstag. Als Berliner Sitz ausgekundschaftet wurde das ansehnliche Haus für 870 Clubber (neben jetzigen und ehemaligen MdBs gehören auch Vertreter der Länderparlamente dazu) von der Präsidentin der Parlamentarischen Gesellschaft, der SPD-Bundestagsabgeordneten Elke Leonhardt.
Eine Frau im Club, gar als Präsidentin – das dürfte den britischen Ideengebern kaum gefallen haben. Vielleicht würden sie deswegen argumentieren, dass es mit der Zivilisation auf dem Kontinent eben nicht so weit her ist. Dem muss man allerdings nach einem Besuch des Gebäudes, das der Kölner Architekt Thomas van den Valentyn unter Beibehaltung der alten Raumstruktur für 39,3 Millionen Mark aufpolierte, vehement widersprechen. Genauer gesagt, nach dem Besuch des Water Closets in der Beletage.
Zunächst betritt man einen edlen, mit Marmor ausgestatteten Vorraum, in dem sich zwei Waschbecken befinden. Zum Trocknen der Hände findet man diese superweichen, superdicken und supergroßen Papiertücher vor, die man sich gar nicht wegwerfen traut, weil man glauben könnte, es handle sich um veritable Stofftücher. Öffnet man die einzige Tür, die vom Vorraum aus weiterführt, steht man prompt in der einzigen Toilette. Und die ist gigantisch, jedenfalls in der Höhe.
Ich habe bei meinem zweiten Besuch der Parlamentarischen Gesellschaft gleich ein Metermaß in mein Handtäschchen gesteckt, um es wirklich genau zu wissen. Lang ist der 1,30 m schmale Raum drei Meter 70, doch dann reicht allein die Marmorverkleidung erst einmal zwei Meter hoch. Darauf kann man das Metermaß noch einmal zwei Meter anlegen, und ist noch lange nicht am Ende. Glücklicherweise ist die Heizung ebenfalls mit Marmor verkleidet und bildet einen kleinen Vorbau, auf den man raufklettern und weiter messen kann. Oben angestoßen, war ich bei fünf Meter zehn!
Unglücklicherweise – weil das Chiffonrollo am Fenster hochgezogen war – beobachtete mich ein Mensch vom angrenzenden Neubau des Jakob-Kaiser-Hauses bei meinen Forschungen. Ich hätte nämlich noch gerne den Vorraum vermessen. Wenn schon, denn schon. Es erschien mir dann aber doch zu riskant.
5,10 m. Das ist ungeheuerlich. Der taz-Altbau, der mir schon ganz schön hoch vorkommt, misst gerade mal 3,80 m. Fünf Meter zehn in die Höhe, vor allem über einem so kleinen Grundriss, das ist toll, das ist grandios. Das ist besser als ein superdickes, superflauschiges Papierhandtuch. Selbst wenn man auch hier ins Nachdenken kommt, wo man sich nun eigentlich befindet. Denn ist das eigentliche Prinzip dieses Ortes nicht die Perspektive der Tiefe? Und keineswegs der Blick in erhabene Höhen?
Apropos unten: Im Zuge der Restaurierung des Reichspräsidentenpalais stießen die Bauleute auf ein historisches Überbleibsel, den alten Heizrohrtunnel für die Wärmeversorgung des Reichstags. Weil noch immer darüber spekuliert wird, ob Marius van der Lubbe im Februar 1933 durch diese knapp mannshohe Röhre kam, um das Parlament in Brand zu stecken, wird nun ein Teil dieses Gewölbes erhalten und in die neue unterirdische Passage integriert, die vom Bürohaus der Abgeordneten, dem 2.000 Räume fassenden Jakob-Kaiser-Haus, zum Reichstagsgebäude führt.
BRIGITTE WERNEBURG
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