bannmeile: Im Pressebüro des Bundestags
Wechselnde Kundschaft
Für die Kollegen von den vorderen Seiten, aus Inland und Wirtschaft, ist das Zimmer 3.26 in der Wilhelmstraße 65 neben dem Pariser Platz keine besondere Adresse. Hier werden Presseausweise ausgegeben, mit denen man Einlass für die Debatten im deutschen Bundestag bekommt. Wer ständig zuhören muss, was sich Schröder, Fischer, Trittin, Merkel und die anderen 665 Abgeordneten zu sagen haben, ist ohnehin im Besitz einer Dauerkarte.
Dem Zufallsgast stellt sich die Situation ganz anders dar: Schließlich betreten Leute von der Kultur- oder Sportredaktion nicht allzu oft das Reichstagsgebäude. Da ist der Gedanke an spezielle Ausweise mit der Vorstellung an stundenlange Behördengänge verbunden, an überfüllte Wartesäle und Nummern, die man ziehen muss, bis irgendwann die Zahl aufgerufen wird, die einem den Zutritt zum Sprechzimmer eines Sachbearbeiters erlaubt, mit dem man sich schlimmstenfalls über falsch ausgefüllte Formulare streiten muss, bis er einem schroff die Tür weist und man das ganze Prozedere mit neuen Papieren noch einmal durchspielen darf. Wenn aber schon der Horror vor deutschen Arbeitsämtern und Passstellen kaum zu ertragen ist, wie soll es erst bei einer so gewichtigen Einrichtung wie dem Büro sein, in dem man sich für den Reichstag anmeldet?
Solchermaßen in Panik versetzt, wirkt das Gebäude zunächst wie ein Alptraum von Kafka. Außen Klinkersteine, im Fahrstuhl der Geruch von Putzmitteln und Plaste. Zu DDR-Zeiten lag das Haus an der Sperrzone ums Brandenburger Tor. Hier waren kleinere Botschaften untergebracht und die Österreichische Außenhandelsstelle. Von den zwölf Postschlitzen an der Eingangstür werden heute nur noch zwei genutzt, die Österreicher sind geblieben und auch die „Botschaft des Islamischen Staates Afghanistan“. Der Rest gehört zum Bundestag: Hier wird Post versendet, hier hat das Referat Öffentlichkeitsarbeit eine Etage, und im dritten Stock ist der Korridor mit dem Zimmer, wo es die Ausweise für den täglichen Presseverkehr gibt – gegenüber der offenbar stets verschlossenen Dependance aus dem Orient.
Zögerlich nur klopft man an die Tür, tritt ängstlich, vielleicht etwas überhastet ein und ist sofort erstaunt. Der Raum sieht aus wie das Sekretariat einer freundlichen Gesamtschule aus den späten Siebzigerjahren. Überall hängen Poster an den Wänden, auf dem vorderen Schreibtisch steht eine Yuccapalme, daneben liegen blau leuchtende „Bundestag“-Zeitschriften zum Mitnehmen aus und Kieselsteine vom Strandurlaub. Eine der beiden Angestellten trägt Jeans, die andere fragt verschmitzt lächelnd, was einen denn an diesem Tag in ihr Büro verschlagen hat, wo heute doch gar keine Parlamentssitzung stattfindet. Nein, nein, es ist nur wegen eines Artikels über den Alltag rund um das Regieren in Berlin – Leben in der Bannmeile, Sie wissen schon, Recherche, nicht für den Politteil, sondern fürs Feuilleton. Aber das finden die Frauen auch nicht weiter ungewöhnlich: „Manchmal kommen hier hunderte von Journalisten am Tag vorbei“, zum Beispiel, wenn statt der Rente das Beet von Hans Haacke diskutiert wird. Je nach Thema wechselt eben auch die Kundschaft.
Das Büro in Zimmer 3.26 ist tatsächlich ein Scharnier zwischen Presse und Politik. Deshalb ist es zugleich Behördenstube und Public-Relation-Treff, offizielle Anlaufstelle und Kontaktbereich für die Öffentlichkeit. Vor allem aber ist es kein Hort preußisch gedrillter Bürokratie, sondern ein Stück Rheinland in Berlin – offen, gut gelaunt und unkompliziert. Damit das so bleibt, hat man sich beim Umzug in die neue Hauptstadt ein Souvenir aus der alten mitgebracht. Auf dem Flur steht ein Aschenbecher mit dem Aufkleber „Bonn Bundesgartenschau 1979“, die Buchstaben sind aus orangefarbenen Seventies-Blütengesichtern gemalt. Dass Berlin auch mal eine Bundesgartenschau veranstaltet hat, weiß heute vermutlich kein Mensch mehr. HARALD FRICKE
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