piwik no script img

ausstellungstippKarrieren im deutschen Exil

Wer in Deutschland an Emigrantenliteratur denkt, dem fällt jene Avantgarde der klassischen Moderne ein, die über Brecht bis zu den Brüdern Mann reicht. Dass Deutschland heute selbst für viele Literaten Exilland ist, wird kaum wahrgenommen.

Eine Ausstellung des Literaturarchivs Monacensia in München greift dieses Thema derzeit auf. Ihr Titel – „Fremd(w)orte“ – ist Programm: Die ausgestellten Exponate lassen die Sprachen- und Schriftvielfalt erahnen, in der gegen das erlittene Unrecht Front gemacht wird. Denn das Exil, um das es geht, ist nicht der selbst gewählte Elfenbeinturm eines Peter Handke, sondern der fremde Ort, in dem die Flucht vor politischer Verfolgung in der „ersten Heimat“ endete. Dass der Fremdort Deutschland dabei zur „zweiten Heimat“ werden kann, ist schwer vorstellbar. Die Berichte von der freundlichen Aufnahme der „braunen Sau“ Ranjith Lochbihler oder von den begrüßenden Molotowcocktails auf das Übergangswohnheim des Algeriers Amasigh Tasmalt sprechen nicht dafür.

Ein Blick auf die Lebensläufe zeigt aber, dass man auch im Asylantenland Deutschland Fuß fassen kann, so der Iraner Said oder der Russe Wladimir Woinowitsch. Der Albaner Martin Camaj wurde gar zum Professor für Albanische Philologie. Wer mag da an Adnan Al-Dhahir aus dem Irak denken, der keinen Arbeitsplatz fand, während seine intellektuellen Gefährten Tasmalt und Juvenal Morales aus Chile Pförtner und Kellner wurden.

Die Verfolgungen, politischen Repressionen und Folterungen, die in der Ausstellung hervorgehoben werden, sind bekannt. Wie aber die Unzahl der Opfer deutscher Konzentrationslager hinter dem Grauen zurücktritt, das aus der Biografie eines einzelnen Ermordeten spricht, so schockiert auch der Bericht von Morales über seine eigene Folterung mehr als die unvorstellbaren Qualen einer Viertelmillion Leidensgefährten allein in Chile. Die Einzelfälle in der Ausstellung Multikulti ist nach dem Boom des Globalisierungsbegriffs genauso hip wie das Engagement in Menschenrechtsbewegungen und Eine-Welt-Läden political correct geworden ist. Zum Glück hat man in der Monacensia nicht diesen Weg saturierten Mitleids mit fernem Unrecht beschritten. Auffällig ist nämlich, dass die Hälfte der porträtierten Schriftsteller aus Europa stammt. Neben dem Kurden Haydar Ișik ist mit dem Tschechen Ivan Binar ein zweites Opfer von Gesellschaften vertreten, die sich zur Zeit um Aufnahme in die EU bemühen. Das Unrecht ist also nicht weit genug entfernt, als dass man sich dem Gestus des Unbeteiligten ergeben könnte.

Es stimmt zudem zuversichtlich, dass ein großer Teil der Autoren in den gefilmten Interviews lachen kann. Es macht Hoffnung, dass Lochbihler die Demokratie des Staats, in dem er als „braune Sau“ bezeichnet wurde, als funktionierend bezeichnet.

STEFAN JORDAN

Der Weg zur Monacensia liegt an der Buslinie 53. Der Fahrer des Busses hat einen dunklen Teint. Woran er wohl zur Zeit schreibt? „Fremd- (w)orte. Schreiben und Leben – Exil in München. Eine Ausstellung der Monacensia“, 3. 3. bis 29. 9.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen