ausgehen & rumstehen : Wenn in der Hölle kein Platz mehr ist
Die samstagnachmittägliche Demonstration hatte geendet wie viele: Wir standen am Nordsee-Fischstand und hörten vom Abschlusskundgebungsplatz eine hysterische Frauenstimme, die mehrmals die Polizei bat, „die unerträglichen Provokationen“ zu unterlassen. Später war von „beglaubigten SMSen“ die Rede, die, wenn ich’s richtig verstand, von Demonstrationskollegen der IG-Bau versandt wurden, die gerade von der Polizei verhauen wurden. Mit einer Hand, so stellte man sich das vor, wehrt ein kräftiger IG-Bau-Mann sich gegen die Provokationen der Polizei, mit der anderen schreibt er eine Hilfe-SMS.
Butti im Hau
Der Nachhauseweg führte über den Gendarmenmarkt, auf dem Roman Polanski zeitgleich zur Demo einen Film drehte. Eine Exkollegin sagte, sie überlege bei den Grünen einzutreten, um etwas zu bewegen, ihrem Leben Sinn und Struktur zu geben. Das ist bestimmt vernünftig, dachte ich mit schlechtem Gewissen. Seitdem sich T. vor zwei Wochen das Leben genommen hat, habe ich fast nur noch am Computer gesessen und Pacman gespielt. Auch dieses Wochenende, werden sich wieder drei oder vier Menschen in Berlin umgebracht haben.
Am Abend ging es ins HAU. Hier gab’s „Rough Cuts – Jörg Buttgereits Filmlektionen“. Das letzte, was ich von Butti gesehen hatte, war sein großartiges B-Theaterstück „Captain Berlin vs. Hitler“ gewesen. Der 45-jährige Allroundkünstler zeigte auf Super-8 gedrehte Monsterfilm, die er vor 25 Jahren gedreht hatte. Kinder traten auf die Bühne und deklamierten Sätze, mit denen vor 30 Jahren für Gruselschocker geworben wurde: „Wenn in der Hölle kein Platz mehr ist, dann kommen die Toten zurück“, „Tod und doch lebendig – lebendig und doch tot … buuuuu“.
Das war lustig, alle lachten und erinnerten sich vermutlich an die Kindheit und unbeschwerte Gruseleien in abgedunkelten Räumen. Weil sie noch nicht so lange lebendig sind, haben Kinder ein anderes Verhältnis zum Tod. Dann gab es wunderbar liebevoll gestaltete Monsterfilme von Buttgereit aus den frühen 80er-Jahren. Als Purist möchte man monieren, dass das Originalbild- und -tonmaterial am Computer geglättet worden war.
Uni ohne Splatter
Der nächste Programmpunkt irritierte etwas. Die Kulturwissenschaftlerin Julia Miess hielt einen Vortrag über Monster- und Splatterfilme, über Final Girls, das abgespaltene Andere usw. Der Vortrag enthielt nichts Neues. Interessant, wie ein Diskurs seinen Weg geht – von den Splatterintellektuellen der späten 80er-Jahre, die oft auch einen ekelhaften Kult um Charles Manson trieben und wie der berühmte Qrt, 1989 wegen angeblicher Faschismusnähe noch gehindert wurden, ihre autonomen Splatterseminare abzuhalten, zur Uni, von der Uni zu den StudentInnen etc. Was aber gleichgeblieben ist, ist die Distanz zum Gegenstand, über die ich mich immer noch wundere. Als ob sich KulturwissenschaftlerInnen, nie ganz normal, also mit Angst, Ekel und seltsamer Lust einen Horrorfilm angeschaut hätten. Begriffe wie Angstlust oder Ekel kommen nicht vor.
Richtig bösartige und sehr erfolgreiche Splatterfilme von heute – wie etwa die abscheuliche „Saw“-Reihe, in der es vor allem um Folter geht – werden erst gar nicht erwähnt. Seltsam.
Danach gab Adolfo Assor den „Doktor Monster“ mit einer Kollage aus Texten des großen Ed Wood Jr. und Vernehmungsprotokollen des Serienmörders Fritz Haarmann, der minutiös beschreibt, wie er seine Opfer schlachtete. Furchtbar, aber sehr gut gespielt. Zum Ausklang gab es eine Gruseldisko mit lustigen Horrorfilmtrailern von früher. DETLEF KUHLBRODT