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aus der wildnis Die „Polar Bears International“-Organisation widmet sich der Erforschung und dem Schutz von Eisbären. Die Haltung und Zucht der Tiere in Zoos lehnen die Wissenschaftler nicht grundsätzlich ab„Es gibt Hoffnung für Eisbären“

interview Benno Schirrmeister

taz: Herr York, Frau McCall, obwohl so gefährlich, sind Polar-Bären ziemlich populär: Haben Sie eine Ahnung, woher das kommt?

Geoff York: Das gilt für Bären im Allgemeinen: Sie werden einerseits geliebt und bewundert, stoßen aber andererseits auf völlige Intoleranz. Dass Bärenjunge einfach süß sind, macht sie sicher besonders attraktiv für Kinderbücher oder als Spielzeug, aber interessanterweise mögen Menschen auf der ganzen Welt Bären. Eisbären sind gefährlich, aber auch schön, intelligent, aber auch zäh – und sie sind außerordentlich geheimnisvoll. Diese Züge scheinen Menschen zu faszinieren, vielleicht weil wir in ihnen etwas von uns selbst wiederfinden: ein anderes Tier an der Spitze der Nahrungskette.

Trotzdem sind die Menschen im Begriff, sie auszurotten. Ist das hauptsächlich eine Folge der Jagd oder spielt der Klimawandel die entscheidende Rolle?

Alyssa McCall: Die Eisbären-Population wird heute weltweit auf zwischen 20.000 und 26.000 Tiere geschätzt. Die größte Gefahr für sie kommt aus der Zukunft – sie sind bedroht durch den Verlust ihres Habitats und die Veränderung der marinen Umwelt der Arktis. Beide sind dem Klimawandel geschuldet. Einige wenige Bestände erfahren bereits eine Abnahme, wegen des vom Klimawandel verursachten Meereis-Rückgangs.

York: Historisch die erste Bedrohung für die Eisbären waren kommerzielle Abschüsse und Sportjagden, aber seit die Staaten ihres Verbreitungsgebiets 1976 das Abkommen über die Erhaltung der Polarbären unterzeichnet haben, sind Jagden durch die Rechtsprechung verboten oder sie werden wenigstens so restriktiv gehandhabt, dass sie keine signifikante Gefahr mehr für den Erhalt darstellen.

McCall: Es bleibt Hoffnung fürs Meereis, und damit für die Eisbären, wenn wir schnell global handeln, um den Treibhausgas-Ausstoß zu verringern, der hauptsächlich durch die Verbrennung von fossilen Kraftstoffen zur Energiegewinnung verursacht wird.

Geoff York

56, promovierter Biologe, ist Senior Director des wissenschaftlichen Teams von Polar Bear International in Bozeman, Montana. Zuvor war er Leiter der WWF-Arktisprogramme. 20 Jahre betrieb er Feldforschung im Polargebiet.

Sie arbeiten als WissenschaftlerInnen mit Eisbären in freier Wildbahn, nicht mit denen in Zoohaltung. Was ist der Unterschied?

York: Es ist von Vorteil, mit beiden zu arbeiten, also sowohl mit wilden als auch mit gut gepflegten Bären in Gefangenschaft, und wir von Polar Bears International unterstützen Forschung, die sowohl zum Erhalt wilder Bären beiträgt als auch die Pflege von Bären in Zoohaltung verbessert. Durch die Beobachtung von Eisbären in freier Wildbahn können wir Antworten auf die großen Fragen finden. Zum Beispiel verstehen wir dadurch besser, welche Anforderungen Eisbären an ihren Lebensraum stellen, wie sie sich ernähren und wie sie mit den wichtigen Ereignissen einer Lebensgeschichte – also: Junge zu haben, das Paarungsverhalten – umgehen und welche Effekte der Rückgang des Meereises auf ihren körperlichen Zustand und den Bestand haben.

Und in Zoos?

York: Durch die Arbeit mit Eisbären in Gefangenschaft können wir beispielsweise mehr über ihre Physiologie erfahren. Die Beobachtung von Zoo-Tieren hat uns ein besseres Verständnis der Eisbären-Sinne – vor allem Gehör und Riechfähigkeit – ermöglicht. Außerdem konnte dadurch der Energieverbrauch durch Schwimmen und Laufen ermittelt werden und Hormonspiegel-Richtwerte vermittelt. Es geht darum, eine bedrohte Tierart erfolgreich zu schützen: Wir müssen dafür so viel wie möglich von diesem Tier verstehen.

Wenn man sich die Wanderwege der von Ihnen mit GPS-Trackern ausgestatteten Eisbären anschaut, findet man große Unterschiede: Manche legen riesige Strecken zurück wie die vom Zoo Hannover gesponsorte X37180, die seit September 2015 1.245 Kilometer gewandert ist, andere scheinen sich fast gar nicht zu bewegen, bei X17398 sind nur 127 Kilometer registriert. Wie lassen sich solche Unterschiede erklären? Sind die festgefroren oder faul?

McCall: Nein, das bestimmt nicht. Eisbären können sich in der freien Wildbahn nicht leisten, faul zu sein. Dann wären sie nicht in der Lage, genügend Futter zu finden, um zu überleben. Die Daten unserer interaktiven Karte stammen von GPS-Halsbändern an weiblichen Bären. Wie Sie sich vorstellen können, ist es eine ziemliche Herausforderung, Elektronikteile zu entwickeln, die robust genug sind, um unter arktischen Bedingungen zu funktionieren. Kurz: Wir gehen davon aus, dass das besagte Halsband nicht richtig überträgt oder die Bärin es abgestreift hat, wenn es eine längere Periode von derselben Stelle aus funkt.

Alysa McCall

wurde nach ihrem Studienabschluss 2014 Direktorin der Feldforschung im „Polar Bear International“-Programm. Ihre Masterarbeit schrieb sie an der University of Alberta über Eisbären in der westlichen Hudson Bay.

Oh, Mist!

McCall: Das kommt bei ein oder zwei Halsbändern im Jahr vor. Aber die meisten laufen wie geplant zwei Jahre und länger – und verschaffen uns entscheidende Informationen über die Bewegungen von Eisbären.

York: Polar Bear International unterstützt die Entwicklung neuer Technologien, um Eisbären zu tracken, die hoffentlich ein paar Beschränkungen der jetzigen Halsbänder überwinden werden. Zum Beispiel könnten Ohrmarkensender genutzt werden, um männliche und weibliche Eisbären zu verfolgen: Das wäre schon ein Fortschritt, auch wenn die wiederum nur rund sechs Monate halten würden.

Aber wie soll denn ein Eisbär, der es gewohnt ist, mehr als 1.000 Kilometer jährlich zurückzulegen, ein Leben im Zoo aushalten können?

York: In der Wildnis müssen Polarbären wandern, weil ihre Nahrungsquellen verstreut und schwierig auszumachen sind: Solche Kalorienbedürfnisse sind entscheidend für wilde Eisbären. Im Zoo sind die stark verringert, weil sie eine kon­trollierte Umgebung vorfinden und keine Notwendigkeit besteht, weite Strecken zurückzulegen. Trotzdem müssen Eisbären in Gefangenschaft aktiv sein, und sie benötigen geistige Anregung, um gesunde und zufriedene Bären zu sein.

„Gefangene Polarbären können das Überleben der Art unterstützen, indem sie helfen, eine gesunde und genetisch diverse Referenzpopulation aufrecht zu erhalten“Geoff York, Polar bear International

Das heißt: Sie brauchen riesige Gehege.

York: Ja, oft ist ein großes Gehege besser, aber unabhängig von der Fläche sind das wichtigste für einen zufriedenen Eisbären in Gefangenschaft abwechslungsreiche Angebote für Tätigkeiten und ständige intellektuelle Herausforderungen. Das bedeutet: Man braucht professionelles Personal.

Kann denn die Haltung und Zucht von Eisbären ernsthaft zur Arterhaltung beitragen?

York: Doch. Gefangene Polarbären können das Überleben der Art unterstützen, erstens, indem sie helfen, eine gesunde und genetisch diverse Referenzpopulation aufrecht zu erhalten, zweitens, indem sie, wie gesagt, dafür sorgen, das grundlegende Fragen der Forschung beantwortet werden können, und drittens, indem sie Zoobesucher dazu erziehen und dazu inspirieren, mit Natur in Kontakt zu treten und am Schutz wilder Eisbären mitzuwirken.

Gibt es denn für die irgendwelche Hoffnung?

McCall: Sehr wohl, es gibt bedeutende Hoffnung für Eisbären, wenn wir kollektiv Maßnahmen ergreifen, um unseren Treibhausgasausstoß zu verringern. Solche Bemühungen würden ermöglichen, Meereis und Temperaturen auf einem neuen Normalniveau zu stabilisieren, sofern wir weiter daran arbeiten würden, den CO2-Anteil in der Atmosphäre zu verringern.

Und wenn nicht?

McCall: Ohne substanzielle Maßnahmen sieht die Lage ziemlich trostlos aus für alle vom Eis abhängigen Populationen – die indigenen Völker der arktischen Regionen eingeschlossen. Eisbären sind ja ziemlich langlebige Tiere mit einer langsamen Reproduktion. Wenn sich das Klima weiterhin im aktuellen Umfang ändert und wenn das Eis weiter in diesem Tempo schmilzt, gibt es keine Hinweise darauf, dass Eisbären sich weiterentwickeln und an ein Leben auf dem Festland anpassen könnten, leider. Sie sind hochspezialisierte Raubtiere, die sich über Tausende von Jahren entwickelt haben, um in einer schwierigen Umwelt leben zu können. Sie gedeihen durch die Jagd auf Eis-Robben, indem sie deren reiche Fettreserven ausnutzen. Für den Verlust dieser Beutetiere gibt es einfach keinen adäquaten Ersatz. Vorstellbar ist höchstens, dass wir ein paar niedrigschwellige Verhaltensanpassungen von Eisbären in bestimmten Gegenden erleben, also beispielsweise, dass sie sich da zu bestimmten Jahreszeiten örtliche Nahrungsquellen erschließen. Aber auf Niveau des Bestands ist klar, dass Genetik und Physiologie nicht so weit aufholen können, dass sich Eisbären noch rechtzeitig an etwas anderes anpassen könnten als ihr Leben auf dem Meereis.

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