aufreger: Israels rechter Minister Ben-Gvir provoziert auf dem Tempelberg
Bei einem provokativen Besuch auf dem Tempelberg in Jerusalem hat der rechtsextreme israelische Polizeiminister Itamar Ben-Gvir zu einer Wiederbesetzung des Gazastreifens aufgerufen. In einem dort aufgezeichneten Video sagte er: So wie Israel gezeigt habe, dass es seine „Souveränität“ über den Tempelberg ausüben könne, könne auch der gesamte Gazastreifen erobert werden. Man müsse diesen „noch heute besetzen“ und „Souveränität im ganzen Gazastreifen erklären“, so Ben-Gvir.
Dabei bezog er sich auf die jüngsten Videos zweier ausgehungerter israelischer Geiseln im Gazastreifen, die die Hamas und der Palästinensische Islamische Dschihad veröffentlicht hatten: Sie zeigen die seit Oktober 2023 gefangen gehaltenen Geiseln Rom Braslavski und Evyatar David. Beide befinden sich in augenscheinlich sehr kritischem Zustand, sehen abgemagert und schwach aus. Gleichzeitig, so fuhr Ben-Gvir am Sonntag fort, müsse man die palästinensische Bevölkerung zu „freiwilliger Auswanderung ermutigen“. Israel wird immer wieder vorgeworfen, es plane eine „ethnische Säuberung“ des umkämpften Küstenstreifens.
Ben-Gvirs Besuch auf dem Tempelberg fand anlässlich des jüdischen Fasten- und Trauertags Tischa Be’aw statt. An dem Tag erinnern Juden an die Zerstörung der beiden antiken Tempel in Jerusalem. Der Polizeiminister betete zu diesem Anlass auch demonstrativ auf dem Tempelberg.
Eigentlich ist das auf dem Areal untersagt, denn dort stehen seit Jahrhunderten muslimische Glaubensstätten: die Al-Aksa-Moschee und der leuchtend blaue Felsendom mit seiner goldenen Kuppel. Verwaltet werden sie vom Jerusalem Waqf, einer Art muslimischer Stiftung. Deren Leitungsebene wird von Jordanien bestimmt, welches das Westjordanland und Ostjerusalem bis 1967 besetzte. Israel ist derweil für die Sicherheit auf dem Tempelberg zuständig.
Laut einer Vereinbarung mit den muslimischen Behörden dürfen Juden die Anlage besuchen, dort aber nicht beten. Dagegen gibt es jedoch immer wieder Verstöße, die allerdings nicht geahndet werden. Dies wird von Palästinensern als Provokation wahrgenommen. Viele sehen darin außerdem ein Zeichen des israelischen Bestrebens, mehr Kontrolle über die heilige Stätte zu erlangen.
Ben-Gvir hatte die Stätte bereits früher besucht und gefordert, dort jüdische Gebete zuzulassen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte daraufhin erklärt, dies sei nicht die Politik Israels. Auch aus der Perspektive vieler Rabbiner, vor allem orthodoxer, ist das Gebet auf dem Tempelberg umstritten: So dürfe vor allem der Bereich, wo einst der Tempel stand, von normalen Gläubigen nicht betreten werden und weitere Teile des Tempelbergs erst nach einer rituellen Reinigung. Orthodoxe Juden, die den Tempelberg besuchen, folgen daher im Normalfall einer bestimmten Route, um diese Gebote nicht zu verletzen.
Für Juden ist der Tempelberg die heiligste Stätte. Bis zu seiner Zerstörung durch die Römer im Jahr 70 n. Chr. stand dort der Zweite Tempel. Mit dessen Zerstörung begann die jüdische Diaspora – womit Jerusalem zum Sehnsuchtsort vieler Jüdinnen und Juden wurde. Vom Zweiten Tempel ist lediglich die Westmauer übrig, die heutige Klagemauer.
Diese ist auch eine Befestigungsmauer des Plateaus, auf dem die Al-Aksa-Moschee und der Felsendom stehen. Im Arabischen wird der Tempelberg al-Haram asch-Scharif, das edle Heiligtum, genannt. Er ist die drittheiligste Stätte im Islam. Der muslimische Prophet Mohammed soll von dort aus seine Himmelfahrt angetreten haben.
Lisa Schneider (mit Agenturen)
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