aufreger: Aufruhr im Paradies
Wir leben hier wie in einer Monarchie, wo der König bestimmt, wer ihn vertritt“, beklagte sich ein Einheimischer am Montag bei einer Demonstration für Direktwahlen auf der brasilianischen Insel Fernando de Noronha. In der Landespresse erscheint die Insel gemeinhin als Paradies. Noronha vereint gleich drei der schönsten Strände des Landes auf sich, ist seit 1988 als Naturpark ausgewiesen und seit 2001 als Unesco Weltnaturerbe geschützt. Bezahlbar ist das Traumziel vor allem für Ausländer, Politiker und den weißen Jetsettern des Landes. Die strengen Auflagen gelten hingegen vor allem für Einheimische.
Seit der erste Eroberer 1503 auf dem 18 Hektar großen Archipel landete und „Hier ist das Paradies“ ausrief, wechselte die Inselgruppe mehrmals ihren Besitzer und ihre Bestimmung. Von der Gefängnisinsel, der Zuflucht für unwillkommene Festlandbewohner bis zum begehrten Luxusurlaubsziel und Investitionsstandort. Verwaltungstechnisch gehört sie zum Bundesstaat Pernambuco, und die dortige Regierung bestimmt den jeweiligen Inselverwalter. Die letzte Verwalterin wurde im Januar nach zwei Jahren ihres Amtes enthoben, ohne Angaben von Gründen. Nachfolger sollte der aktuelle Umweltsekretär werden, Wochen später benannte die Gouverneurin kurzerhand einen anderen – laut Medienberichten, um sich politische Unterstützung zu sichern.
Aber die Insulaner wollen keine Günstlinge, sondern demokratisch gewählte Vertreter, die sich für ihre Belange einsetzen. Denn das Leben im Paradies ist von Wohnungsknappheit, hohen Lebenshaltungskosten und Versorgungsschwierigkeiten geprägt. Die Lage, 350 Kilometer vor der Küste, verteuert alles, vom Lebensmittel bis zum Baustoff. Während Luxusrestaurants sich Champagner und Garnelen einfliegen lassen, bestellen sich Einheimische Grundnahrungsmittel im Internet. Touristen entspannen in großzügigen Bungalows mit Privatpool und Meerblick, Insulaner warten oft jahrelang in winzigen Mietunterkünften auf Grundstücke und Baugenehmigungen.
„Wir haben erst nach elf Jahren ein Baugrundstück zugewiesen bekommen“, erzählt Sabina Varga, die seit 2008 auf Noronha lebt und mit einem Einheimischen verheiratet ist. Der Verwalter, der außer ihrem noch weitere 200 Grundstücke an einheimische Familien zu verteilen hatte, bedachte einen Ortsfremden mit gleich drei Einheiten und wies ein Grundstück in Bestlage einer Journalistin zu, die zwar die Bedingungen für die Zuteilung nicht erfüllte, aber gleich gesetzeswidrig ein Hotel errichtete. Theoretisch sind auf Noronha überhaupt nur „Pensionen“ zugelassen, aber das interpretieren Investoren schon immer so, dass sie ihr Luxushotel einfach als „Pension“ betiteln.
Seit 2024 liegt ein Gesetzesentwurf für Direktwahlen auf der Insel bei der Gesetzgebenden Versammlung von Pernambuco. Damit er durchkommt, müssen 30 von 49 Abgeordneten für ihn stimmen. Die Gouverneurin hält ihn für verfassungswidrig, entscheiden müsste im Zweifelsfall der Oberste Gerichtshof. Ob und wann es soweit kommt, ist allerdings unklar: Auf Noronha wurde sogar die Unabhängigkeit Brasiliens erst mit zwei Jahren Verspätung eingeführt.
Christine Wollowski, Salvador da Bahia
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