arbeitslosigkeit: Die lästige Schuldfrage
Noch ist Kanzler Schröder in Urlaub. Sonst hätte er bestimmt schon wieder etwas Drastisches gesagt. Zum Beispiel: „Es gibt kein Recht auf Faulheit.“ Dies ließ er im April verlauten, um abzulenken. Als sich schon einmal abzeichnete, dass er vor knapp drei Jahren einen strategischen Fehler beging. Als er nämlich am Wahlabend sagte: „Wenn wir in vier Jahren die Trendwende am Arbeitsmarkt nicht geschafft haben, verdienen wir es auch nicht, wieder gewählt zu werden.“ Ein gefährliches Versprechen, das nicht zu halten ist.
Kommentarvon ULRIKE HERRMANN
Selbst schuld, könnte man sagen. Und weil Schröder nicht schuld sein will, wird er sich Schuldige suchen. Wahrscheinlich werden es wieder die „faulen“ Arbeitslosen sein. Oder der politische Gegner. Doch wie auch immer, wer auch immer: Der Kanzler ist nicht allein. Ob Politiker, Gewerkschaften oder Unternehmer – sie alle glauben fest daran, dass doch irgendjemand schuld sein müsse an der Arbeitslosigkeit. Natürlich nicht sie selbst. Aber nie darf es das Offensichtliche sein: dass uns der „Fortschritt“ überrollt. Oder wie man es in den 80er-Jahren noch sagte: „Der Arbeitsgesellschaft geht die Arbeit aus.“
Wer das heute vertritt, der wird mitleidig belächelt: „Das ist doch alt.“ Was genau stimmt. Wir haben es sogar mit einem uralten Trend zu tun. Seit 150 Jahren wächst die Produktivität schneller als die Wirtschaft, wird Arbeit überflüssig. Oder um es in einem Zahlenbeispiel für Westdeutschland zu sagen, erhoben vom Statistischen Bundesamt: Von 1960 bis 1995 steig das Bruttoinlandsprodukt um 175 Prozent, doch das gesamte Arbeitsvolumen sank um 20 Prozent. Tendenziell sieht das nach Reichtum ohne Arbeit aus; früher nannte man dies Schlaraffenland.
Dass wir dort weder leben noch wahrscheinlich leben werden, hat damit zu tun, dass die hergestellten Güter höchst ungleichmäßig verteilt werden. Aber das ist eine Frage der Gerechtigkeit, nicht der Vollbeschäftigung – was immer wieder gern verwechselt wird.
Vielleicht ist die neue Arbeitsmarktdebatte ja eine Chance. Schon glauben nämlich 60 Prozent der Deutschen nicht mehr, dass sich Beschäftigung politisch steigern lässt. Vielleicht sind es ja irgendwann sogar 100 Prozent. Dann könnte man zumindest mal darüber reden, ob wir Arbeit und Einkommen nicht neu verteilen wollen.
Vorher allerdings werden Schröder und Koch noch länger Schuldige suchen. So lange wird sich nichts bewegen – das lässt sich ganz sicher versprechen.
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