american pie : Himmelssturm mit Zungenbrecher
In Pittsburgh träumen die Fans 25 Jahre nach dem Ende der großen Steelers-Ära wieder einmal vom Gewinn der Super Bowl im American Football
Die Hälfte der Saison in der National Football League (NFL) ist gespielt, und obwohl einige Konstanten geblieben sind, macht sie ihrem Ruf als Achterbahnliga auch diesmal alle Ehre. Konstant sind die gewohnt starken Leistungen von Super-Bowl-Champion New England Patriots und dem letztjährigen Halbfinalisten Philadelphia Eagles, beide mit sieben Siegen in acht Spielen, ebenso wie die üblichen grauenhaften Darbietungen der Miami Dolphins, die nach acht Niederlagen in neun Partien gerade dabei sind, ihren Coach Dave Wannstedt zu feuern. Wie stets gibt es aber auch jene Teams, die nach einer grandiosen Saison plötzlich ins Uferlose stürzen – Super-Bowl-Verlierer Carolina Panthers zum Beispiel, für die eine 1:7-Bilanz zu Buche steht – oder Mannschaften, die von Durchschnittsteams unversehens zu Meisterschaftsfavoriten avancieren. Das sind diesmal vor allem die Pittsburgh Steelers, die im Vorjahr nur sechs von 16 Spielen gewannen, jetzt aber nicht nur eine 7:1-Bilanz vorweisen können, sondern zuletzt nacheinander die beiden bis dahin ungeschlagenen Teams der Patriots und Eagles entzaubert haben.
„Das Kribbeln ist zurück“, sagt Joey Porter, „die ganze Stadt ist in Ekstase.“ Und mit Kribbeln meint der Linebacker keineswegs die Situation vor drei Jahren, als Pittsburgh mal wieder die Play-offs erreichte, um alsbald gegen New England auszuscheiden, oder das Jahr 1995, als das Team die Super Bowl gegen Dallas verlor, sondern eine viel weiter zurückliegende Zeit. In den späten Siebzigern war es, als die Steelers in sechs Jahren viermal Champion wurden, eine Ära, von der die Fans in der footballbegeisterten Stadt noch heute schwärmen.
Die aktuelle Mannschaft sieht sich durchaus in der Tradition ihrer Vorläufer, von denen passenderweise viele im Stadion waren, als am Sonntag im Pennsylvania-Derby die Philadelphia Eagles in Grund und Boden gespielt wurden. 25 Jahre liegt der letzte Super-Bowl-Sieg der Steelers zurück, Zeit für eine Neuauflage, ist die einhellige Meinung der Fans. „Sie haben die Stadt zu dem gemacht, was sie ist“, sagt Bill Cowher, seit 1992 Coach der Steelers, über die Altvorderen, „wir spüren die Verantwortung, ihr Erbe hochzuhalten.“
Vor allem die Art und Weise der Erfolge gegen Eagles und Patriots, deren Rekordserie nach 21 Siegen in Pittsburgh ihr Ende fand, schürt die Hoffnungen. Die hochgelobten Kontrahenten wurden nicht nur besiegt, sondern mit 27:3 und 34:20 förmlich deklassiert. Lebten die alten Steelers vor allem von ihrer Defense, dem berüchtigten „Steel Curtain“, so überzeugt das aktuelle Team mit komplettem Spiel. „Sie haben uns in jedem Aspekt geschlagen“, gab Eagles-Trainer Andy Reid zu, „Coaching, Angriff, Abwehr, Spezialteams.“ Von den ersten 20 Minuten war Philadelphia nicht mal drei am Ball gewesen und lag 0:21 zurück. „Wir kamen nicht zum Atmen oder dazu, herauszufinden, was eigentlich los war“, meinte Eagles-Linebacker Ike Reese.
Selbst den Ausfall ihres Running Backs Duce Staley verkrafteten die Steelers ohne Probleme, schließlich ist sein Ersatzmann der sechstbeste Läufer der NFL-Geschichte: Jerome Bettis, genannt „The Bus“, der mit seinen 32 Jahren schon als ausgebrannt galt und aus der Startformation flog. Gegen Philadelphia wirkte er wie durch einen Jungbrunnen gezogen und erreichte mit 149 Yards sein bestes Ergebnis seit drei Jahren.
Den wichtigsten Beitrag zur Erfolgsserie leistete jedoch ein NFL-Neuling, dessen Zungenbrecher-Name den Kommentatoren ebenso viele Probleme bereitet wie sein Wurfarm den Abwehrkolossen der Liga: Ben Roethlisberger. Der 23-jährige Quarterback kam bei der einzigen Niederlage, einem 13:30 gegen Baltimore, im dritten Viertel für den verletzten Tommy Maddox ins Team, führte sich mit zwei Touchdown-Pässen ein und blieb danach in sechs Partien ungeschlagen. Mit seiner Ruhe und Übersicht gibt er der Mannschaft große Stabilität und der Konkurrenz Rätsel auf. „Er ist schon bemerkenswert“, sagt Eagles-Linebacker Mark Simoneau, „er wirkt wie jemand, der schon vier, fünf Jahre dabei ist.“ Und, so Steelers-Receiver Hines Ward über Ben Roethlisberger, „er wird ständig besser.“
„Wir sind ziemlich gut“, findet Ward, „die Grenze für dieses Team ist der Himmel.“ Worte, die Coach Bill Cowher nicht so gern hört. Bis zur angestrebten Super Bowl ist es noch ein weiter Weg und die Zeit als favoritenjagender Außenseiter für Pittsburgh erst mal vorbei. In den nächsten Spielen gegen die Divisions-Rivalen Cleveland und Cincinnati ist man selbst der gejagte Favorit. „Den roten Fleck tragen jetzt wir“, weiß Joey Porter.
Und nicht wenige Spieler der Pittsburgh Steelers wissen seit der bitteren Play-off-Niederlage gegen New England vor drei Jahren sehr genau, wie schnell dem Himmelssturm die Bruchlandung folgen kann. „Wir haben zwei gute Teams geschlagen“, meint Bill Cowher, „aber was das große Gemälde angeht, haben wir noch gar nichts erreicht.“
MATTI LIESKE