american pie : Die Millionenangler
Wenn knorrige Männer und junge Helden um die Wette fischen, werden sie von tausenden Fans angefeuert – auch die TV-Quoten sind respektabel
Der Mann war ernstlich sauer. Also packte er seine Ausrüstung und feuerte sie ins Wasser. Anschließend tanzte er fluchend wie ein Derwisch über das Deck, dass man fürchten musste, Mike Iaconelli würde in den See stürzen. Wer bislang der Meinung war, dass Angeln eine Beschäftigung für ruhige, ausgeglichene Menschen ist, der wurde eines Besseren belehrt.
Die Turnierleitung des Bassmaster Classic war ähnlich erschrocken, wie es die Fische im Lake Tohopekaliga gewesen sein dürften. Zwar gilt Iaconelli als böser Bube der Angler, der einen Fang mit einer Breakdance-Einlage zu feiern pflegt, aber diese Einlage war denn doch nicht zu tolerieren. Wegen „unsportlichen Verhaltens“ ging der Tagesfang nicht in die Wertung ein.
Das Skandälchen machte Schlagzeilen und war gern gesendetes Futter für die Highlights der Sportnachrichten. Ein weiterer Schritt für die Bass Anglers Sportsman Society (BASS) zum Major Player in der nordamerikanischen Sportlandschaft aufzusteigen. Seit ESPN vor fünf Jahren BASS für 40 Millionen Dollar aufgekauft hat, überträgt der größte US-Sportsender die Turniere der Barsch-Angler nicht nur täglich mehrere Stunden, sondern versucht, das Image des Sports grundsätzlich umzubauen. Wo früher knorrige Petrijünger nahezu unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit auf Fischfang gingen, werden heute Heroen, eingekleidet und mit Werbung beklebt wie Formel-1-Fahrer, mit Schnellbooten auf den See geschickt und von Kameraleuten begleitet, die den Kampf mit den kaum mehr als zwei Kilo wiegenden Ungetümen festhalten. Experten im Studio analysieren Gewässer, Wetter und Angeltaktik. Wenn die Hochleistungsfischer auf ihren Booten sitzend in die Halle gezogen werden, in der der Fang des Tages ausgewogen wird, rasten mehrere tausend Zuschauer förmlich aus, und Millionen vor den Fernsehschirmen sind dabei.
So ist das Profi-Angeln neben der Rennwagen-Serie NASCAR zum am stärksten wachsenden Sport in den USA geworden. Die Quoten haben zweistellige Zuwachsraten, und mehr als 80.000 Zuschauer kamen am vergangenen Wochenende zu den Bassmaster Classic, die auf vier Seen südlich von Orlando ausgefischt wurden. 1,2 Millionen Dollar Preisgeld waren zu vergeben, aber der Titel soll, so die Verantwortlichen von ESPN, für den Gewinner Luke Clausen, den jüngsten der 51 angetretenen Angler, mit den darauf folgenden Werbeverträgen bis zu 100 Millionen Dollar wert sein.
Dass sich mit dem vergleichsweise drögen Treiben der Fischersleute so viel Geld umsetzen lässt, liegt an Nachwuchsanglern wie Iaconelli, die von ESPN systematisch als Gegenspieler zu den etablierten alten Herren aufgebaut werden. Der 33-Jährige wurde nach seiner Strafe in Florida zwar nur Letzter, aber er hat begriffen, worauf es ankommt. „Ich rede viel Mist“, sagt er selbst, „aber das ist der einzige Weg, den Sport nach vorne zu bringen.“ Schon vor drei Jahren heuerte er einen eigenen Pressesprecher an, der ihm Werbeauftritte organisiert und „mich an Orte bringt, an denen das Wort Angeln ein Fremdwort ist“. Ein anderer Star ist Ish Monroe: Der einzige schwarze Spitzenangler soll den traditionell im Süden der USA beheimateten Sport für afroamerikanischen Fans interessant machen.
Mittlerweile haben sich auch die altgedienten Profis an den frischen Wind gewöhnt. „Der kann so lange tanzen, wie er will“, sagt der 48-jährige Zell Rowland, „wenn ich so viel Geld mit nach Hause nehmen würde wie er, würde mir das auch zu Kopf steigen.“ Tatsächlich profitieren alle Beteiligten vom Boom: Der durchschnittliche Fischersmann auf der BASS-Tour verdient ungefähr 100.000 Dollar an Preisgeld jährlich und mindestens dasselbe noch einmal mit Sponsorengeldern. Die kommen mittlerweile nicht mehr nur von Herstellern von Motorbooten und Angelzubehör, sondern auch von Restaurantketten. Selbst die Supermarktkette Wal-Mart ist im Geschäft und hat eine konkurrierende Profi-Tour lanciert.
Nun sollen auch Märkte in Übersee erschlossen werden. In Japan ist BASS bereits recht populär, drei Angler aus Nippon wollen sich für Turniere in den USA qualifizieren. Aber dass Mike Iaconelli und seine Kollegen mit ihrem Sport den Rest der Welt erobern, darf denn doch bezweifelt werden. Deutsche Barsche dürfen bis auf weiteres ruhig schlafen. THOMAS WINKLER