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american pieKleine NFL-Wunder mit den New York Jets

Könige des Comebacks

While the sergeants played a marching tune

„Ich bin eben einfach ein wilder und verrückter Kerl.“ Nein, der dies sagt, heißt nicht etwa Christoph Daum, sondern es handelt sich um Al Groh, seit Januar Cheftrainer des Footballteams der New York Jets. Auf dem Newcomer in der National Football League (NFL) lastet eine schwere Bürde. Er trat die Nachfolge des renommierten Bill Parcells an, eine wahre Heldenfigur bei den Jets, die dem Klub aber immerhin zum Teil erhalten blieb. Nach wie vor bekleidet Parcells eine Position im Trainerstab, nur die Verantwortung trat er an seinen Freund Al Groh ab.

Der verblüfft die Liga nicht nur dadurch, dass seine zu Saisonbeginn eher niedrig gehandelte Mannschaft mit 6:1 Siegen zügig auf die Play-offs zusteuert, sondern auch mit einigen trickreichen Spielzügen, zum Beispiel einem vorgetäuschten Field Goal vorige Woche beim Erfolg gegen die New England Patriots. Anstatt die fast sicheren drei Punkte mitzunehmen, landete der Ball plötzlich zu aller Überraschung beim Linebacker Mo Lewis, der einen First Down herausholte. Vier Spielzüge später war der Touchdown perfekt und die risikoreiche Rechnung aufgegangen. „Es ist schön, sich etwas auszudenken, und dann zu sehen, wie es von den Spielern perfekt umgesetzt wird“, beschrieb Groh das Glück eines erfolgreichen Trainers.

Am Montag war es ein ähnlich unkonventioneller, aber ungeplanter Spielzug, der eines der denkwürdigsten Spiele in dieser NFL-Saison krönte. Gut die Hälfte der fast 80.000 Zuschauer im Meadowlands-Stadion von New Jersey waren bereits frustriert gegangen, nachdem die Jets von den Miami Dolphins 45 Minuten lang nach allen Regeln der Football-Kunst vorgeführt worden waren und mit 7:30 hoffnungslos zurücklagen. In den letzten 15 Minuten zeigte sich jedoch, dass die Magie, die derzeit anlässlich der World Series im Baseball zwischen New York Yankees und New York Mets über der Stadt liegt, sogar bis New Jersey zu reichen scheint. Plötzlich spielten die Jets eine der besten Defensivreihen der NFL, die zuvor in sechs Partien nur 51 gegnerische Punkte und drei Touchdowns zugelassen hatte, in Grund und Boden.

Bei einem der spektakulärsten Comebacks der Ligageschichte schaffte das Team von Al Groh in kürzester Zeit vier Touchdowns, der letzte zum 37:37 gelang dem 300 Pfund schweren Tackle Jumbo Elliott, der zum ersten Mal überhaupt in seiner Karriere einen Pass fing. 30 Punkte in einem Viertel, das hatten zuletzt die Atlanta Falcons 1981 geschafft. Fast folgerichtig, dass die Jets auch in der Verlängerung dominierten und das nötige Field Goal zum 40:37-Sieg erzielten.

„Wir sind nicht das talentierteste Team“, sagte Jets-Quarterback Vinny Testaverde anschließend noch leicht erstaunt, „aber wenn wir uns vier Viertel lang anstrengen, passieren gute Dinge.“ Receiver Wayne Chrebet pflichtete bei: „Mit dem Rücken zur Wand sind wir am besten.“ Auch ein Verdienst des neuen Coaches Al Groh, für den erfahrenen Linebacker Bryan Cox „der härteste Trainer, den ich je hatte“. In der Halbzeit des Matches gegen Miami, plauderte Defensivkraft Marcus Coleman aus, habe Groh „gebrüllt und Gegenstände herumgeworfen“. Zumindest in der NFL scheinen archaische Methoden noch zu wirken, wenn auch in diesem Fall mit einer Verzögerung von rund 15 Minuten.

Die erstaunliche Schlussphase der Partie holte das Team aus Miami abrupt auf den rauhen Boden der Tatsachen zurück. „Minnesota oder St. Louis haben den Gegner am Boden und ziehen die Sache durch. Wir nicht“, verglich Cornerback Sam Madison die Dolphins des Jahres eins nach dem Rücktritt von Quarterback-Legende Dan Marino mit den Topfavoriten der Liga. Bei den Jets-Fans hingegen keimt langsam Hoffnung, dass man auch ohne Parcells eventuell größere Ziele erreichen könnte. So bald jedenfalls wird keiner mehr vorzeitig das Stadion verlassen. MATTI LIESKE

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