american pie: NBA: Trainerwechsel bei den New York Knicks
Im Land des Lächelns
„Mein Vermächtnis ist, kein großartiger Schlichter in einem Streit großer Männer zu sein“, scherzte Jeff Van Gundy, nachdem er letzten Samstag völlig überraschend als Coach des Basketballteams der New York Knicks zurückgetreten war, weil er angeblich einfach keine Lust mehr hatte. Der 39-Jährige spielte auf eine Szene in den Playoffs 1998 an, als er sich beim Spiel gegen Miami Heat zwischen die raufenden Hünen Larry Johnson und Alonzo Mourning geworfen hatte. Das Bild des winzigen Van Gundy, der am Bein von Mourning hing und von diesem durch die Halle geschleift wurde, sorgte für anhaltende Heiterkeit in der NBA.
Von Jeff Van Gundys Nachfolger sind solche Szenen nicht zu erwarten, auch wenn der als soft geltende Don Chaney (55) gern berichtet, wie er in seiner Anfangszeit als Cheftrainer bei den Los Angeles Clippers fast mal einen Spieler angefallen hätte. Seither ist er nach eigenen Angaben „gereift“, und zwar so weit, dass ihn die New York Times gern „Still-wie-ein-Grab-Chaney“ nennt. Schon bei seiner letzten Station als Headcoach pflegte er die Detroit Pistons weitgehend stumm und temperamentfrei von der Seitenlinie zu dirigieren. Seinen alten Stil präsentierte er auch am Samstag im Match gegen die Indiana Pacers, wo er provisorisch coachte, bevor ihn die Knicks am Montag zum Cheftrainer bis Saisonende ernannten. Selbst als Marcus Camby mit einem wilden Pass über das ganze Feld direkt ins Aus die knappe 101:99-Führung noch einmal in Gefahr brachte, blieb Chaney gelassen. „Ich habe ihm hinterher gesagt, an seinem Baseball-Pass müsse er noch arbeiten“, schmunzelte der Coach. Der cholerische Van Gundy hätte mit einem ausgiebigem Wutanfall reagiert.
Bezeichneten die Spieler den Trainerrücktritt zunächst alle brav als „großen Schock“, zeigten sie sich kurz darauf schon bester Stimmung. „Ein Unterschied wie Tag und Nacht“, kommentierte Camby den Trainerwechsel, „wir arbeiten immer noch hart, aber am Ende des Tages gibt es viel mehr Lächeln.“ Allan Houston, der schon in Detroit für Chaney spielte, erwartet „mehr Spaß“ auf dem Platz. Und Spielmacher Mark Jackson glaubt: „Man kann dieselbe Intensität haben, ohne dass es lebensgefährlich ist, einen Fehler zu machen.“
Skeptischer ist da schon Latrell Sprewell, der einstige böse Bube der Liga, aber in New York inzwischen so wichtig, dass ihn Knicks-Präsident Scott Layden zu Hause aufsuchte, um ihm die Nachricht von Van Gundys Abschied noch vor der Teamsitzung persönlich zu überbringen. „Ich möchte nicht, dass es zu entspannt wird, man braucht auch Disziplin“, mahnt der Publikumsliebling. „Wenn die Jungs ihren Job nicht tun, sitzt du nicht da und lächelst“, verteidigt sich der neue Coach, „ich tue alles, was nötig ist, um zu gewinnen.“
Auch Sprewell freut sich jedoch auf den veränderten Stil, der mit Don Chaney Einzug hält. Anders als Van Gundy ist dieser kein Apologet der Defensive. Diese sei zwar wichtig, aber „wenn du vorn nicht punktest, gewinnst du nicht.“ Die Knicks, mit 11:9 Siegen das sechstbeste Team der Eastern Conference, haben zwar die zweitbeste Defense der NBA, aber auch die viertschlechteste Offense. Während sein Vorgänger langsamen und kontrollierten Basketball bevorzugte, wobei er fast jeden Spielzug von der Seite ansagte, will Chaney den Spielern mehr Freiheit gewähren. Er setzt auf Fast Breaks und Improvisation. „Wir werden unberechenbarer sein“, glaubt Allan Houston, Sprewell jubelt: „Ich liebe es, zu rennen.“ Ein erklärtes Ziel hat Don Chaney damit locker erreicht: „Du musst deinem Superstar dein Programm verkaufen, sonst gehst du unter.“
Größtes Problem wird sein, nach sechs Jahren als Assistent den Respekt eines Cheftrainers zu erwerben. Gleich beim ersten Training frotzelte Camby anlässlich der Freiwurfübung: „Wie, sammelst du heute gar nicht die Bälle auf?“ Chaneys zornige Reaktion war diesmal noch humorvoll gespielt.
Mit dem freiwilligen Abgang Van Gundys, der vor zwei Jahren vor dem Rauswurf stand, bevor die Knicks überraschend das gegen San Antonio verlorene NBA-Finale erreichten, ist der Umbruch im Klub abgeschlossen. Zuvor hatten bereits Präsident David Checketts und Manager Ernie Grunfeld ihren Hut nehmen müssen, von den Spielerdenkmälern verabschiedete sich nach Charles Oakley und Pat Ewing zuletzt auch Larry Johnson. Nicht alle New Yorker sind mit dieser Entwicklung einverstanden. Beim Match gegen Indiana blieb ein Sitz im Madison Square Garden signifikant leer: der von Knicks-Superfan Spike Lee. MATTI LIESKE
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