: ..alles kurz und klein
■ Die Trickfilm-Oscar-Rolle im Filmkunst 66
Wußten Sie, daß der berühmte Film Academy Award (vulgo: Oscar) auch an Zeichentrickfilme vergeben wird? Und das seit über 50 Jahren? Das Schöne an Zeichentrickfilmen ist ja, daß sie im Durchschnitt komische zehn Minuten dauern und nicht öde drei Stunden wie der siebenfach prämierte Der mit dem Wolf tanzt (also pro 25 Minuten ein Oscar).
Die Oscar-Rolle beginnt mit einem Klassiker aus dem jahr 1939: The ugly ducking (Das häßliche kleine Entlein). Die herzerreißende Geschichte eines frischgeborenen Schwanes: im falschen Nest ausgebrütet und von der dort residierenden Entenmutter vertrieben, macht er sich auf die Suche nach Geborgenheit und trifft nach einigen Abenteuern auf eine aufnahmebereite Schwanenfamilie. Die gute alte Walt Disney- Harmonie — Entlein zu Entlein, Schwänlein zu Schwänlein, Gelb zu Gelb, Weiß zu Weiß. Doch schon zwei Jahre später in Lend me a paw gibt es eine Versöhnung über die Gattungsgrenzen hinweg. Hund, Maus, Katz' und Fisch leben unter einem Dach (Hauptdarsteller: Mickymouse und Pluto).
Alles andere als Versöhnung bieten die Tom-und-Jerry-Geschichten. Kampf bis aufs Messer und kein Pardon. In Cat Concerto führen sie mit großer Sorgfalt und Erfindungsgabe vor, wie ein einfacher Konzertflügel zu einem tödlichen Instrument umfunktioniert werden kann (Auferstehung ist im Zeichentrickfilm garantiert). Dafür gab es 1947 einen Oscar.
Immer wieder wird in den Zeichentrickfilmen die Gewaltfrage angeschnitten, ohne sich im gleichen Atemzug von praktisch ausgeführter Brutalität zu distanzieren. Die Fähigkeit zu quälen wird anstandslos befürwortet. Am prägnantesten in The Crunch-Bird (etwa: der Zerhacker-Vogel). Ein papageienähnlicher blauer Vogel mit apathisch-senilem Gesicht wartet nur auf sein Stichwort: crunch — dann legt er los bzw. hackt alles kurz und klein: Schaukelstühle wie Menschen. In Special Delivery hingegen geht es um die Schwierigkeit, einen toten Briefträger zu beseitigen. Die Entsorgungsbemühungen stoßen auf stetig wachsende Komplikationen, am Ende sind aber alle zufrieden: die Leiche, die Polizei und der Beseitiger.
Ganz andere Fragen wirft der ins philosophisch-phänomenologisch lappende jugoslawische Beitrag Surogat (Ersatz) auf. Wie, wenn die Erde ein aufblasbarer Gummiball wäre, ja was, wenn du, ich und unser Mitmensch nichts als Gummipuppen wären? Jahre vor dem Jane-Fonda- Axiom (»Wir benehmen uns, als wenn wir eine zweite Erde im Kofferraum hätten«) behandelt Surogat das Kofferraumprinzip in aller Ausführlichkeit.
Noch viele andere Themenkomplexe werden in den prämierten Zeichentrickfilmen angerissen. Sind Unfälle vermeidbar? Wie lange leben Schaukelstühle? Und was ist in der kleinen schwarzen Schachtel neben dem bärtigen Mann an der Theke? Fragen über Fragen, Oscars über Oscars. Volker Gunske
Die Oscar-Zeichentrickfilm-Rolle — 10 Zeichentrickfilme von 1939 bis 1990. Nur heute und morgen um 23 Uhr im Filmkunst 66.
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