aktionstag gegen Mediaspree: Ausufernde Party mit Botschaft
Mehrere tausend Menschen gehen am Aktionstag gegen die Bebauung des Spreeufers auf die Straße. Sie verwandeln Brachflächen in Partygelände. 25 Festnahmen.
Misstrauisch inspiziert der Polizist die gefüllten grauen Müllsäcke. "Anschutz" steht auf dem Plastik und dahinter "25 Mio". "Das ist nur ein Beispiel für die Subventionen, die andere Investoren bei Mediaspree bereits erhalten haben", erklärt eine der Demonstrantinnen. Einen ganzen Haufen Säcke haben sie mitgebracht, jeder steht für einen Investor. Der Polizist kann nichts Verdächtiges in den Säcken finden und reicht sie wieder zurück.
Mehr als 1.000 Menschen haben sich nach Angaben des Veranstalters am Samstagmittag auf Initiative des Bündnisses "Mediaspree entern" am Kottbusser Tor in Kreuzberg versammelt, eine ähnliche Menge am Boxhagener Platz in Friedrichshain. Ihr Ziel: zunächst die Oberbaumbrücke, um von dort aus Flächen nördlich und südlich des Spreeufers zu besetzen und zu nutzen. Damit wollen sie gegen die teils fertig gestellte, teils geplante Bebauung des Ufers mit Büros, Hotels und Luxuswohnungen unter dem Projektnamen Mediaspree protestieren.
Bei Rangeleien zwischen Polizei und Demonstranten während der Mediaspree-Proteste sind sechs Menschen verletzt worden. 25 Menschen wurden bei den Einsätzen in Friedrichshain und Kreuzberg kurzzeitig festgenommen, so die Polizei am Sonntag. 400 Beamte waren im Einsatz. Zudem gab es 16 Platzverweise. So fanden die Beamten nach eigenen Angaben in der Bödicker Straße Utensilien für einen Piratensender. 12 Menschen wurden festgenommen. Gegen sie wird wegen Verstoß gegen das Telekommunikationsgesetz ermittelt. In einer Presseerklärung des "Pirat_innenradios" hieß es hingegen, die Polizei habe in dem Hausprojekt an der Bödicker Straße keine Sendeanlage gefunden. Stattdessen seien mehrere Räume des Hauses verwüstet worden. Die Polizei habe "so absurde Vorwürfe wie 'Gefährliche Körperverletzung durch Strahlenbelastung' und 'Stromklau' erhoben, um ihren Einsatz rechtzufertigen. In und vor dem Haus sei es zu wahllosen Festnahmen gekommen.
Das erste Grundstück wird besetzt, schon bevor die Demozüge die Oberbaumbrücke erreicht haben. An der Wrangel- Ecke Cuvrystraße brechen plötzlich Demonstranten hinter der ersten Reihe aus und biegen nach links ein, statt dem Fronttransparent zu folgen. Überraschte Polizisten versuchen, die Menschenmenge einzufangen, doch die Demonstranten sind schneller. Drei Dutzend Menschen sprinten auf die Freifläche an der Cuvrystraße und lassen sich am Spreeufer nieder. Dann ist erst mal Schluss: Beamte riegeln den vorderen Eingang des Geländes ab.
"Wenn man will, kann man doch jederzeit hier drauf kommen", sagt eine Anwohnerin, die eigentlich nicht an der Demo teilnimmt, und schüttelt den Kopf. Bei gutem Wetter seien abends ständig Leute auf dem Gelände, die grillen und Musik machen würden. Auch die Polizei ist inkonsequent: Die zwei seitlichen Eingänge bleiben offen.
Während auf dem Gelände die ersten Fahnen in den Boden gesteckt werden, treffen sich auf der Oberbaumbrücke die Demos aus Kreuzberg und Friedrichshain. "Heute können wir gemeinsam zeigen, dass wir die Bebauung des Spreeufers nicht wollen. Das Ufer muss für uns genauso da sein", schallt es aus dem Friedrichshainer Lautsprecherwagen. Der Kreuzberger Wagen musste die Demo verlassen: Die Organisatoren geben an, dass die Polizei ihn samt Anlage beschlagnahmt habe, es habe mehrere Festnahmen gegeben.
Etwas abseits von der Demo, auf einem kleinen Grundstück nördlich der Stralauer Allee sitzt eine Gruppe junger Leute um eine Decke. Die Fläche liegt seit Jahren brach und ist trotzdem abgeriegelt. "Nur der Rasenmähermann darf hier drauf", sagt eine Anwohnerin. Eine Initiative rief dazu auf, am Samstag daraus einen Anwohner-Park zu machen. Doch noch sind die Tore zu. Wer auf das Gelände will, muss ein Loch oder ein Zaunstück finden, über das er klettern kann, ohne von Polizei und Sicherheitsdienst entdeckt zu werden.
Eine, die es sich auf der Wiese gemütlich gemacht hat, ist Conny. Seit ihrer Geburt wohnt sie in der Gegend, sie will von einer "Besetzung" des Geländes eigentlich nicht sprechen. "Wir nutzen das ja sonst auch ab und an, wenn auch eher mit den Hunden", sagt sie. Doch die Proteste seien ein guter Anlass, um die Öffnung des Grundstücks für die Anwohner zu fordern. Schließlich gebe es mit der Bebauung des Spreeufers immer weniger öffentlich nutzbaren Platz. "Früher konnte man noch an der Spree entlang spazieren gehen", sagt sie. Jetzt werde das durch Neubauten, Bauzäune und Wachmänner verhindert.
Auf der Freifläche an der Cuvrystraße ist es voll geworden. Mehrere hundert Menschen sind auf dem Gelände, einige berichten von weiteren Besetzungen neben der Ver.di-Zentrale an der Köpenicker Straße und an der Elsenbrücke. Zwei Frauen entzünden auf einer Betonfläche ein Feuer, ein Gitarrist begleitet einen Schlagzeuger, dazu schallt Musik aus ein paar Boxen.
Pünktlich um 18 Uhr geht die Musik aus. Der Schlagzeuger tritt auf das Pedal seiner Basedrum, Menschen blasen in Trillerpfeifen, in Tröten, drehen mit beiden Händen Ratschen so schnell es geht, rufen und schreien. Über den Fluss hallt das Echo von Feuerwerkskörpern. Dann, ganz langsam lässt der Lärm nach, bis zum Schluss nur noch das Schlagzeug zu hören ist. Die Lärmdemo als Abschluss des Aktionstages ist vorbei. Die Musik setzt wieder ein, und am Ufer der Cuvrystraße beginnt die Party.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen